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Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe

Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe

Titel: Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Wegner
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du niemals so ein Gesicht machen!“
    „Ach, Miezekater …“ Sie streichelte durch sein Haar. Weich und dicht und heillos zerzaust fiel es auf seine Schultern. Braun und blond und rötlich, sogar einige vereinzelte schwarze Haare waren darin, farbenfroh wie sein Jaguarfell. „Meine Trauer rührt daher, dass ich weiß, was Mica auf sich nimmt. Für das alte Volk ist Salzwasser so ätzend wie eine Säure. Und er verspürt ebenso Schmerz wie jedes andere atmende Geschöpf auf Erden. Die Qualen der See sind für uns unerträglich.“
    Gefasst presste Grishan die Lippen aufeinander und zog die Nase hoch. „Wenn das so ist, hole ich ihn da raus. Mir macht das Meer keine Angst. Ich bin ein guter Schwimmer.“
    Berenike hielt ihn nicht auf, als er sich erhob und davonrannte. Während er über die Klippen schoss, auf der Suche nach dem steilen Pfad nach unten, den sie am Vortag entdeckt hatten, musste sie ihr Entsetzen verdauen. Sie hätte niemals die Folter auf sich genommen, der Mica sich aus freiem Willen aussetzte. Das dunkle Meer verbarg sein Leiden vor ihr. Der Nebel war gewichen, sodass sie die Lichter des Badeortes Eastbourne sehen konnte. Sterbliche flanierten dort über die nächtliche Promenade. Lachten und redeten. Ahnungslos wie eh und je. Seit ihren Anfängen hatte sich vieles verändert, doch manches würde auf ewig so bleiben, wie es war.
    Sie atmete tief die Salzluft ein. Es war an der Zeit herauszufinden, ob das Salzwasser der Ozeane auch ihr noch Schaden zufügen konnte. Sie rollte ihr Haar zu einem Knoten, schob einen harten Zweig hinein und steckte es am Hinterkopf fest. Aus der Ferne hörte sie das Klackern losgetretener Steinchen. Grishan hatte den Abstieg zum Wasser gefunden. Wollte sie ihn noch einholen, musste sie sich beeilen.

    Mica hatte vorhergesehen, dass die Asrai ebenso schnell sein würde wie er. Sein Vorsprung war zu gering, um einfach stehen zu bleiben. Blitzartig war ihm durch den Kopf geschossen, ob er das Wagnis eingehen, sich umdrehen und der Asrai den Spiegel der Sonne aushändigen sollte, dessen Strahlen sie angezogen hatten. Aber wäre diese Kreatur damit zufrieden gewesen? Hätte sie auf ihre Rache verzichtet, wenn ihr drei vermeintliche Diebe gegenüberstanden? War die Asrai hingegen erst einmal im Wasser, gemeinsam mit ihrem Kristall, würde sie nicht wieder auftauchen. Als einzigen Ausweg blieb der Sprung ins Leere.
    Während er sich mit aller Kraft von der Kante des Kreidefelsens abstieß und weit darüber hinausschoss, legte er die schmale Silberkette um seinen Hals. Das Gewicht des Kristalls schien zuzunehmen und seinen Sturz zu beschleunigen. Dichtauf folgte die Asrai. Ihr Kreischen bohrte sich in seine Hirnwindungen. In rasender Geschwindigkeit, den Kopf voran, stürzte er auf die Wellen zu. Nur noch wenige Herzschläge trennten ihn von den Qualen des Salzwassers. Im letzten Moment vollführte er eine Rolle. Lieber wollte er sich die Beine brechen, anstatt sich den Schädel aufzuschlagen, denn das Wasser würde die Härte von Felsen besitzen. Gleich einem Pfeil streckte er sich und hob die Arme über den Kopf. Vor seinen Augen schwebte der Kristall in der Luft, ein grelles Gleißen, das alles andere ausblendete. Die Wucht seines Aufpralls schien seinen Körper zusammenzustauchen. Dennoch waren die Brüche in Beinen und Becken lächerlich im Vergleich zu der verheerenden Wirkung des Meerwassers. Obwohl er es über Monate, gar ein ganzes Jahr oder zwei hätte überdauern können, setzte der Schmerz sofort und mit aller Wucht ein. Kaum tauchte er unter, begann die See von seinem Körper zu zehren, als hätte sie danach gegiert. Es fühlte sich an, als würde ihm bei lebendigem Leib die Haut vom Fleisch gelöst.
    Der freie Fall setzte sich unvermindert unter Wasser fort. Immer tiefer zog der Spiegel der Sonne ihn hinab in den nassen Abgrund. Agonie warf Mica herum. Er verlor die Kontrolle über seine Glieder. Ohne Unterlass krümmte und streckte sich sein Leib, bog sich in die eine, dann wieder in die andere Richtung, als könnte er der Berührung des Wasser entrinnen, das ihn von allen Seiten umgab. Er musste den Kristall loswerden, doch wie, wenn die See ihn umspülte und ihn zu hilflosen Verrenkungen verdammte? Er war der Gier des Meeres ausgeliefert und nicht länger Herr seiner selbst. Mehrmals hob er die Arme. Seine Finger tasteten unbeholfen nach der Silberkette und verfehlten sie. Tiefer und tiefer sank er hinab, verfangen in einem Kampf gegen die Schmerzen. Endlich

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