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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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manchmal habe ich ziemlich düstere Gedanken. Und ich denke an dich.« »Was denkst du«, fragte ich, »wenn du an mich denkst?« »Ich denke, dass es für dich nicht gut ist, wenn du mich jetzt so viel siehst«, antwortete sie. »Ich meine, es ist nicht gut für dich.« »Doch«, versicherte ich ihr, auch wenn ich Angst bekam, »ich will dich aber sehen.« »Genau das meine ich ja«, sagte sie und sah mir sehr ernst in die Augen. »Verstehst du? Genau das meine ich.«
    Ich verstand es nicht im Mindesten, und ich bat sie, mit zu mir zu kommen. »Ich glaube, das sollte ich nicht tun«, sagte sie, »wirklich.« Doch in ihrem Ausdruck lag etwas Weiches, und als ich weiter darauf beharrte, willigte sie schließlich ein. Während der Fahrt im Taxi mühte sich mein Gehirn ab zu begreifen, was da geschah. Im Verlauf jener letzten Wochen hatte ich mich – das mag nun sentimental und altmodisch klingen, aber schließlich war ich in einer Familie aufgewachsen, wo ein kurzes Werben die Regel war – Tagträumen von einem Leben als Ericas Mann hingegeben; nun merkte ich, dass nicht nur sie, sondern auch die Frau selbst vor meinen Augen verschwand. Ich wollte ihr helfen, an ihr festhalten – ja, an uns festhalten –, und ich wollte sie unbedingt aus dem Gestrüpp ihrer Psychose befreien. Aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte.
    In meinem Bett bat sie mich, sie in die Arme zu nehmen; ich tat es und flüsterte ihr leise ins Ohr. Ich wusste, dass ihr meine Geschichten aus Pakistan gefielen, also erzählte ich ihr alles Mögliche von meiner Familie und von Lahore. Als ich sie küssen wollte, blieben ihre Lippen regungslos und sie schloss auch nicht die Augen. Also schloss ich sie für sie und fragte: »Vermisst du Chris?« Sie nickte, und ich sah, wie sich Tränen zwischen ihren Lidern hervorpressten. »Dann tu so«, sagte ich, »tu so, als wäre ich er.« Ich weiß nicht, warum ich das sagte; ich fühlte mich überwältigt, und plötzlich erschien das als ein möglicher Schritt nach vorn. »Was?«, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen. »Tu so, als wäre ich er«, wiederholte ich. Und langsam, im Dunkeln und schweigend, taten wir es.
    Ich weiß nicht, wie ich beschreiben soll, was dann geschah; ich kann natürlich nicht behaupten, ich sei besessen gewesen, aber gleichzeitig war ich nicht ich selbst. Es war, als wären wir verzaubert, in eine Welt verpflanzt worden, in der ich Chris war und sie mit Chris zusammen war, und wir liebten uns mit einer körperlichen Vertrautheit, die Erica und ich nie zuvor genossen hatten. Ihr Körper verweigerte sich mir nicht mehr; ich sah auf ihre geschlossenen Augen, und ihre geschlossenen Augen sahen auf ihn .
    Ich erinnere mich noch immer daran, wie muskulös sie war, was durch ihre Hagerkeit noch stärker zur Geltung kam, und an die beinahe unbelebte Glätte und Kühle ihres Fleischs, wenn sie sich zurückbeugte und mir ihre Brüste darbot. Der Eingang zwischen ihren Beinen war nass und weit, gleichzeitig aber seltsam starr; ich fühlte mich – widerwillig – an eine Wunde erinnert, die unserem Sex trotz der Sanftheit, um die ich mich bemühte, etwas Gewalttätiges gab. Mehr als einmal meinte ich Blut zu riechen, doch als ich mit den Fingern prüfte, ob sie ihre Tage hatte, fand ich sie unbefleckt. Zum Ende hin erschauerte sie – schmerzerfüllt, fast tödlich; auf ihren Schauder folgte meiner.
    »Du bist ein freundlicher Mensch«, sagte sie danach, als wir nebeneinanderlagen; »es klingt vielleicht blöd, aber es ist wahr.« Ich hielt sie im Arm und sagte nichts. Ich empfand etwas, was ich nie zuvor und danach empfanden habe, ich erinnere mich noch gut daran: Ich war befriedigt und beschämt zugleich. Meine Befriedigung war mir begreiflich, meine Scham verwirrte mich eher. Vielleicht hatte ich, indem ich in die Haut eines anderen geschlüpft war, mich selbst herabgesetzt, vielleicht war ich in der eigentümlichen Dreiecksgeschichte, deren Teil ich nun war, von der fortgesetzten Dominanz meines toten Rivalen gedemütigt, vielleicht fürchtete ich auch, selbstsüchtig gewesen zu sein, und schon da spürte ich, dass ich Erica zutiefst verletzt hatte. Doch diese letzte Erklärung ist – hoffe ich jedenfalls – unwahrscheinlich; natürlich konnte ich nicht wissen, was ihr in den folgenden Wochen und Monaten widerfahren sollte.
    In jener Nacht schlief Erica ohne Medikamente ein; ich blieb wach, auch deshalb, weil ich noch nichts gegessen hatte. Aus Angst, sie zu stören, zögerte

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