Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
beiden über japanischen Städten abgeworfenen Atombomben (und ich möchte Dich daran erinnern, dass in Dresden mehr Menschen gestorben sind als in Hiroshima oder Nagasaki). Dresden spiegelt auch die Schreckenstaten der NSDAP, die – verständlicherweise, wie ich sofort hinzufüge! – im allgemeinen Verständnis das ganze Entsetzen des 20. Jahrhunderts ausmachen, bis hin zu dem grausigen Detail, dass viele Familien dicht zusammengedrängt verbrannten, nachdem sie sanftmütig in Bunker gegangen oder von dem Versprechen hineingelockt worden waren, dort wären sie in Sicherheit.
Für Dresden gibt es keinen Präzedenzfall. Coventry war das Zentrum der britischen Rüstungsindustrie. Wenn man das übersieht, übersieht man das eigentlich Wesentliche. Die Zahl der zivilen Todesopfer in Coventry war grauenhaft, sie waren aber das Nebenprodukt eines wertvollen militärischen Ziels. Auch wenn man den Angriffen auf Rotterdam nachgeht, stößt man auf eine Episode der »Militärgeschichte« – nicht, wie in Dresden, auf ein Kapitel in den Annalen des »Terrors«. Eine Division der niederländischen Armee hatte in der Stadt Quartier bezogen, und die Bombardierung führte dann auch zur Kapitulation der niederländischen Streitkräfte. Die Luftwaffe versuchte sogar noch, den Angriffsbefehl zurückzunehmen, als sie von den Friedensverhandlungen erfuhr. Dass sie darin versagte, belegt nur das Chaos des Krieges.
Was bleibt, ist das Motiv Deiner Postkarten. Überrascht es Dich sehr zu erfahren, dass von Richthofens Kampfflieger Befehl hatten, nahezu ausschließlich die Brücken und Hauptstraßen von Guernica zu bombardieren? Auch dies war eine rein militärische Angelegenheit. »Leiden ist Leiden«, aber die Übertreibung speziell der Tragödienin Spanien ist zum Fetisch derer geworden, die den läppischen Scharmützeln der »Lincoln Brigade« dank Künstlern wie Picasso, George Orwell und Rose Angrush einen besonderen, geheiligten moralischen Wert beimessen. Ich stand einst ebenfalls unter dem Bann solcher Künstler, insofern zeige ich diesem Irrtum gegenüber am ehesten Nachsicht. Ein Irrtum bleibt es.
Warum habe ich mir eine so tendenziöse Entwicklung erlaubt, wenn ich doch sicher sein kann, dass sie Dich bis aufs Blut reizt? Mein Wunsch, liebe Miriam, ist, Dich einsehen zu lassen, dass wir auf derselben Seite stehen. Du sagst, ich bin »besessen« vom deutschen Leiden. Wenn man aber die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam verurteilt, ohne sich bewusst zu halten, dass Napalm seinen Ursprung in der Brandkatastrophe Dresdens hatte, verliert man den Verlauf der Geschichte aus den Augen. Darin war Dresden, ebenso wie Hiroshima, nicht die letzte Phase des vorangegangenen imperialistischen Krieges, sondern die erste Phase des darauffolgenden, dessen Indienstnahme des Terrors noch weit erfolgreicher sein sollte als der Krieg Hitlers. Wir alle leben hier in den flackernden Schatten des Feuers, das faktisch nie ganz erloschen ist. Zeugnisse zu sammeln und zu sichten, wie ich es jetzt über ein Jahrzehnt lang getan habe, heißt, was einer Pazifistin wie Dir doch klar sein muss, sich der Aufgabe zu verschreiben, menschlichen Stimmen gegenüber der schrecklichen Universalität von Unterdrückung und Tod Gehör zu verschaffen.
Du schreibst, Reisen sei unmöglich, und das akzeptiere ich widerwillig. Ich hoffe trotzdem, dass unser Errol und Euer Sergius eines Tages zusammen spielen werden, und mehr noch, dass sie dereinst in einer Welt leben werden, die sich vom zerstörerischen Relikt von Staatsgrenzen befreit hat – sofern diese Gefühle nach diesem Brief nicht übertrieben optimistisch sind.
Mit den herzlichsten Grüßen
Albert
PS: Nachdem ich nun doch mit der lange hinausgezögerten Bevormundung angefangen habe, merke ich, dass ich sie nicht mehr lassen kann; verzeih bitte. Die astrologische Mystik Deiner Briefe halte ich für dummes Geschwätz, und ich würde mir wünschen, Dich eines Besseren belehren zu können. Der kleine Errol ist ebensowenig »ein Zwilling mit einem Mond im Mars«, wie ich ein Zentaur bin. Aus meiner Perspektive hört sich das, ehrlich gesagt, nach einem Rückfall in den kabbalistischen Aberglauben an, was Deiner Mutter gar nicht so unähnlich ist, die in ihrer Hysterie und ihrem Selbsthass wieder bei einem Volksjudaismus landet, wenn sie Deiner Hochzeitsparty einen Rabbi aufzwingt. Die Welt, in der wir leben, liebe Tochter, ist geheimnisvoll genug, da müssen wir sie nicht zusätzlich mit Metaphysik
Weitere Kostenlose Bücher