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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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Füßen auf ihrem Sofa saß und Tee trank.
    Ich fragte mich, woher die beiden sich kannten.
    Michel saß neben mir und spielte mit Jeanettes Hund. Der war noch jung, gelenkig und frech, sah aus wie ein Schlittenhund, und eines seiner Augen war blau.
    Jeanette mochte den Hund anscheinend weit weniger als Michel. Fortwährend beklagte sie sich über das Tier, das ihrer Ansicht nach zu viel Energie hatte. Sie hatte die falsche Wahl getroffen, sie hätte sich einen caniche anschaffen sollen, einen Pudel, aber dieser Hund hatte sie als Welpe aus dem Schaufenster der Tierhandlung heraus so lieb angeschaut, dass sie nicht hatte widerstehen können.
    »So ist das immer bei mir«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. »Zu viel Mitleid. Ich kann einfach nicht Nein sagen.« Sie drückte ihre Kippe im Aschenbecher aus und fischte die Zigarettenpackung zwischen einer Zimmerpflanze und ein paar Katzenfotos hervor, um sich gleich die nächste anzustecken.
    Bleu hatte es sich mit gespreizten Hinterpfoten auf Michels Schoß bequem gemacht. Dann drehte er sich um, reckte sich zu Michels Hals, legte ihm die Vorderpfoten auf die Schultern und fing mit Begeisterung an, ihm das Gesicht abzulecken, begleitet von fanatischem Wedeln des buschigen, grauen Schwanzes.
    »Ich wünschte, ich wüsste jemanden für ihn«, hörte ich Jeanette sagen. »Ich will ihn nämlich nicht ins Tierheim bringen. Da lassen sie ihn womöglich einschläfern. Und er ist doch so ein Lieber, hat bloß zu viel Energie, nicht wahr? Hier in der Stadt, das ist nichts für ihn. Er müsste eigentlich irgendwo à la campagne unterkommen, wo er genug Platz zum Herumrennen hat. Das wäre ideal.«
    Michel sah mich an. »Hast du das gehört?«
    Ich nickte.
     
    Die Schnellstraße fiel zum Tal hin ab. Weinberge, so weit das Auge reichte. Hier und dort ein Schloss oder ein Landhaus auf einer Hügelkuppe. Der Regen hatte aufgehört, aber der Himmel war noch immer bedeckt.
    Auf der Rückbank gab Bleu ein Fiepen von sich. Autofahren war er eindeutig nicht gewohnt. Das Fiepen ging in leises Jaulen über.
    »Vielleicht muss er pinkeln«, sagte Michel. Seine Stimme klang angespannt.
    Ein Stück weiter gab es einen Parkplatz. Ich hielt in der Mitte an und stellte den Motor ab.
    Michel stieg aus. Er machte hinten auf, rief nach Bleu und ging ein paar Schritte über den Rasen, auf den Saum des angrenzenden Waldes zu. Bleu spitzte die Ohren, sah schräg zu ihm auf, voll Vertrauen, mit heraushängender Zunge. Seinen Schwanz, der über dem Rücken einen fast geschlossenen Kreis bildete, wiegte er fröhlich hin und her.
    Ein Stück weiter stand ein Auto mit angehängtem Wohnwagen. Ich sah eine Frau sich über die Rückbank beugen, sie kümmerte sich um ihr Kind. Gerade reichte sie ein weißes Bündel zu ihrem Mann hinaus, der hinter ihr stand und damit zu einem Abfalleimer ging.
    Michel und Bleu schienen sich prächtig zu amüsieren. Der Hund sprang an ihm hoch, forderte ihn heraus. Michel spielte mit ihm, machte ein paar Scheinbewegungen. Ein warmes Gefühl stieg in mir auf. Während ich den beiden zusah, kam mir die beängstigende Erkenntnis zu Bewusstsein, dass es nicht nur Michels Körper war, von dem ich mich angezogen fühlte. Dass ich nicht nur Lust empfand.
    Da war mehr als das.
     
    Wir legten Kilometer um Kilometer zurück, eingehüllt in ein Schweigen, das unerträglich war, das wehtat, aber ich hatte keine Ahnung, was ich hätte sagen sollen. Wenn mir irgendetwas in den Sinn kam, erschien es mir entweder zu pathetisch oder einfach falsch und verlogen. Dass wir nicht dieselbe Muttersprache hatten, machte es nur noch schwieriger, denn so konnte ich nicht einmal sicher sein, dass meine Worte bei ihm auch richtig ankamen. Und fortwährend war mir bewusst, dass ich diese Situation selbst herbeigeführt oder doch zumindest zugelassen hatte, ganz so, als wäre ich niemandem Rechenschaft schuldig.
    »Hier musst du raus«, sagte Michel.
    Ich blinkte rechts und fuhr einem großen Lieferwagen hinterher. Keine fünf Minuten später waren wir auf der Straße, von der unsere Zufahrt abging.
    Fast zu Hause.
    Mein Magen zog sich zusammen.
    »Ich möchte dich wiedersehen«, sagte Michel plötzlich.
    Ich schüttelte den Kopf. »Solange du bei uns arbeitest, siehst du mich doch jeden Tag.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Noch fünfhundert Meter.
    Einem Impuls folgend, parkte ich das Auto an der Böschung, stellte den Motor ab und fing zu sprechen an, ohne ihn anzusehen. »Ich habe Kinder,

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