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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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geworden.
    »Unsere kleine Maria Christina, unsere kleine Maria Christina«, flüsterte ihre Mutter dann. Aber in ihre Augen traten keine Tränen, nur um ihren Mund zuckte es, bildete sich ein häßlicher Kranz kleiner Falten.
    Sebastian sprang auf. Er stieß die Fäuste auf den Tisch. Endlich entrang sich ihm, was sich seit drei Jahren in ihm aufgestaut hatte:
    »Du hast sie ins Kloster gebracht, Maria Teresa. Du hast es getan, ohne selbst mich davon zu unterrichten. Du hast es getan, weil du glaubtest, so könnte die Sünde deines Lieblingssohnes gesühnt werden. Es ist deine Schuld!«
    Er haßte die Frau, die er liebte, jetzt mit der gleichen Tiefe und Leidenschaft.
    »Geh hinaus, bitte, geh!«
    Sie gehorchte stumm. Er sah ihr nicht nach. Er eilte zum Telefon, das neben seinem Schreibtisch an der Wand hing. Er wählte eine Telefonnummer, hörte, wie am anderen Ende abgenommen wurde, sagte dann nur ein Wort: »Padre.«
    Es dauerte eine Weile, bis ihm eine kräftige männliche Stimme antwortete.
    »Was ist?«
    »Hast du die Nachrichten gehört?«
    »Wer tut das nicht?«
    »Meine Tochter war dort. Ich muß wissen, was wirklich geschehen ist. Kannst du mir helfen?«
    Eine Weile blieb es stumm am anderen Ende der Leitung.
    »Ich bitte dich, ich habe noch nie um etwas gebeten, es ist das erste Mal«, sagte Sebastian.
    »Ich weiß. Ich muß nachdenken. Ich werde dich wissen lassen, wie ich entschieden habe.«
    ›Padre‹ war das Codewort für einen Mann, der zwischen den Fronten lebte, der der gleichen Überzeugung wie Sebastian war, daß dieser Bruderkrieg einmal hatte ausbrechen müssen, daß er nicht zu vermeiden war, weil sich angestauter Haß und angestaute Unterdrückung eines Tages entladen mußten.
    Und während er wartete, dachte Sebastian an ein Erlebnis seiner Kindheit.
    Er mußte zehn oder elf gewesen sein und hatte seine Sommerferien bei einer Tante auf deren Besitzung in der Nähe von Salamanca verbringen dürfen.
    Zuerst war er von dem Haus überwältigt gewesen, das ihn wie ein Palast anmutete, und von den Gärten und von dem riesigen Park, die es umgaben.
    Wenn man die breite, schwarzweiß bekieste Auffahrt hinunterlief, konnte man durch das hohe, schmiedeeiserne Tor in die dunstige Hitze über die Straße hinwegblicken, zu einer Ansammlung kleiner, niedriger Häuser, die allesamt braunweiß gescheckt waren wie die Dorfhunde, die um sie herumstrichen und in den Komposthaufen nach Nahrungsresten wühlten.
    In dem Dorf gab es Kinder, die Sebastian oft fröhlich lachen und umherrennen sah, aber spielen durfte er nicht mit ihnen.
    Und dann, als die Hitze immer bleierner wurde, kein einziger Tropfen Regen fiel, versiegte die Quelle des Dorfes, und vor dem schmiedeeisernen Tor des Palastes seiner Tante erschien eine Prozession schwarzgekleideter Frauen, junger und alter, aber alle kamen gebeugt daher, und eine jede von ihnen trug einen Tonkrug.
    Vor dem schmiedeeisernen Tor standen sie und warteten, bis der Gärtner mit seiner Arbeit fertig war und sich über den Rosenbeeten und dem Rasen die Wassersprinkler nicht mehr drehten. Seine Tante hatte befohlen, daß die Frauen erst dann Wasser aus dem schier unerschöpflichen, mit modernen Filtern versehenen Brunnen ihrer Finca bekommen sollten, wenn der Garten bestellt war. Manchmal warteten die Frauen in der Hitze des Spätnachmittags zwei oder auch drei Stunden lang, bis ihnen der Pförtner endlich das Tor aufschloß und sie zu dem Brunnen gehen durften, um Wasser für sich und ihre Kinder zu schöpfen. Einmal fiel eine der Frauen einfach um.
    Und der kleine Sebastian lief zu seiner Tante und bat sie: ›Hilf doch, hilf doch, da ist eine umgefallen‹, aber seine Tante schickte nur eines der Hausmädchen hinunter und schimpfte mit ihm, daß ihn dies alles nichts angehe. ›Wir auf dem Hügel haben nichts damit zu tun‹, sagte sie, ›und mach dich nicht mit Geschmeiß gemein.‹
    Ein paar Tage später fanden Sebastians Ferien abrupt ein Ende, denn die Bauern stürmten das schmiedeeiserne Tor im Morgengrauen für ihre Frauen, und seine Tante reiste sofort mit ihm nach Madrid, wo sie ein großes Stadthaus besaß und sich acht Tage lang zu Bett legte mit einer nervösen Migräne.
    Seine Eltern holten ihn ab, und sie mußten ihm versprechen, ihn niemals wieder zur Tante in die Ferien zu schicken.
    Das Telefon läutete in seine Gedanken hinein, und er nahm hastig den Hörer ab.
    »Die Marokkaner haben es getan«, sagte die Stimme dessen, den er ›Padre‹ genannt

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