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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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her.«
    »Bist du katholisch, wie ich?«
    »Ja, ich war katholisch.«
    »Du warst es? Du bist es nicht mehr?«
    Er lachte kurz auf. »Wie sollte ich es noch sein, nach meinen Erfahrungen, nach dem, was ich gesehen habe, erlebt habe? Nein, ich bin kein Katholik mehr.«
    »Du hast dich also von Gott losgesagt?«
    »Hör mal zu, wir sind hier nicht in einer Bußstunde im Kloster, wo die Novizenmeisterin Gewissenserforschung mit den Novizinnen betreibt. Aber wenn es dich beruhigt, ich habe mich nicht von Gott losgesagt. Ich weiß nur nicht, wo er steckt, der liebe Gott, wenn er das alles zuläßt, was auf der Welt passiert.«
    »Du gehörst zur schlimmsten Sorte der Ketzer, die es gibt – du bist ein Idealist.«
    Verblüfft sah er sie an.
    Langsam sagte er: »Ich glaube, du könntest sogar recht haben. Ja, das ist wohl die schlimmste Art der Häresie.«
    Sie griff nach seiner Hand, führte sie an ihre Wange. »Warum müssen wir uns streiten? Warum müssen wir Gewissenserforschung betreiben, wie du es eben genannt hast?«
    »Weil du von der schlimmsten Art der Gläubigen bist – nämlich naiv.«
    Sie lachte nicht. »Vielleicht«, sagte sie. Sie nahm seine andere Hand und küßte sie auf die Innenfläche.
    Das hat sie nicht im Kloster gelernt, dachte er. Da war ein Mann, und da ist auch noch ein Mann.
    Mit einemmal war er von einer brennenden, verzehrenden Eifersucht erfüllt.
    »Ich will alles über dein Leben erfahren.«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt.«
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen, aber es könnte doch lange dauern, und du bist müde.«
    »Nein, ich bin nicht müde. Ich will wissen, was du getan hast, wer du warst, ehe wir uns trafen.«
    Sie ließ seine Hände los, legte sich in die Kissen zurück. »Du denkst an einen Mann, nicht wahr?«
    »Ja, das auch. Ich denke an alles. Ich denke daran, daß du viele Dinge nicht im Kloster gelernt hast. Ich denke auch daran, daß du keine Jungfrau mehr warst, als wir uns zum erstenmal liebten. Deshalb will ich alles wissen.«
    Es war wie ein Dolch, der in seinen Eingeweiden wühlte – die Eifersucht.
    »Ich werde versuchen, es dir zu erzählen. Ja, du hast ein Recht darauf«, sagte sie.
    Als Maria Christina zwölf Jahre alt war, geschah es zur halbdunklen, stillen Stunde der Siesta, daß ihre Tante Augusta, die älteste der drei unverheirateten Schwestern ihrer Mutter, das Mädchen in ihr Zimmer bat.
    Das Zimmer zierte ein reichgeschnitztes, breites Bett, gekrönt von einem dunkelroten Baldachin; es war ein Bett der Lust, so schien es Maria Christina, wie sie es in den Büchern aus der zweiten, hinteren Reihe der Bibliothek gelesen hatte.
    Aber wie konnte Tante Augusta jemals Lust empfunden haben, in diesem Bett, das sie noch nie mit jemandem geteilt hatte? Und nun war es zu spät dazu. Sie mochte einmal schön gewesen sein mit ihrer schneeweißen Haut und den sich zu den Schläfen schlitzenden, dunklen Augen, die allerdings etwas hervorstanden. Ihr schwarzes Haar war glänzend und der Knoten im Nacken wie aus dicken Seidenschnüren gewunden. Aber ihre Gestalt war hager und die Brüste flach, und das waren sie wohl immer gewesen.
    ›Woran denkst du?‹ fragte ihre Tante und führte sie zum kleinen Handarbeitstisch, der vor dem Fenster stand, nun mit den goldenen Streifen der Sonne belegt wie mit einer kostbaren Decke. Sie drückte das Mädchen in einen der beiden Sessel, die wie der Baldachin des Bettes aus dunkelrotem Damast waren.
    Augusta goß aus einem silbernen Dekanter in zwei kleine Gläser Rotes ein, aber Maria Christina schmeckte sofort, daß es kein Wein war, sondern die widerlich süße Grenadinelimonade, die ihre Tanten brauten und auf Flaschen zogen; endlose Reihen standen davon in der Speisekammer.
    ›Halte bitte das Glas am Stiel, mein liebes Kind‹, sagte Augusta. ›Man umfaßt nicht den Kelch mit seiner ganzen Hand.‹
    ›Warum nicht? So läßt es sich besser halten.‹
    ›Es ist nicht comme il faut.‹
    Das war ein Lieblingswort Augustas; sie hatte in ihrer Jugend Frankreich bereist, aber diese Phrase schien die einzige, die ihr im Gedächtnis geblieben war.
    ›Du bist sehr gewachsen, mein liebes Kind.‹ Die dunklen Augen betrachteten Maria Christina, als sähen sie das Mädchen seit langer Zeit zum erstenmal; dabei waren die drei Tanten, von kurzen Spazierfahrten zur Kirche oder zu wohltätigen Zwecken abgesehen, die sie allein unternahmen, stets im Hause.
    ›Du hast dich recht gestreckt im letzten Jahr, und man kann sehen, daß du einmal eine

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