Der Gitano. Abenteuererzählungen
nur einen Zoll tief zu neigen. Er war ein freier Sohn der Wüste und kam zu einem Giaur, er, der Rechtgläubige zu einem Juden.
»Friede sei mit Dir! Wie ist Dein Name, und was willst Du von mir?«
»Mein Name ist gefürchtet wie der Name von el Timsach, dem Krokodile, und was ich will, sollst Du vernehmen, Manasse Ben Arahab!«
Er sprach dies mit fester, tiefer Stimme, und, obgleich er das Ende des Turbantuches als Lischam (Gesichtsschleier) herabgeschlagen hatte, bemerkte ich doch, daß sein dunkles Auge mit scharfem Blicke den Raum durchsuchte.
»Du hast eine Tochter?« fuhr er fragend fort.
»Eine Tochter! Kennst Du sie – hast Du sie gesehen – weißt Du von ihr, nach der ich all die Meinen ausgesandt habe?« rief Manasse, sich mit gespannter Miene erhebend.
»Weder Deine Diener noch der Bey mit seinen Soldaten, bei dem Du gewesen bist, werden sie finden, auch der Pascha von Tripoli nicht. Schick alle Scheidans (Teufel) aus, es ist umsonst, denn – sie ist bei mir!«
»Bei Dir?!« Er sprang vollends auf und trat auf ihn zu. »Wie bist Du zu ihr gekommen, und wie heißest Du?«
»Mein Name ist Dir bekannt; ich bin der Kofla-Aga.«
»Der Kofla-Aga!«
Manasse sank bei diesem entsetzten Ausrufe wieder zusammen, und auch ich war in hohem Grade bestürzt. Kofla-Aga, Herr der Karawanen, nannte man den berüchtigten und gefürchteten Anführer einer Gum (Raubkarawane), welche bald hier und bald dort auftauchte und die Karawanen überfiel und vernichtete, so daß weder von Mensch noch Thier jemals wieder etwas zu hören war. Jeder Handelszug, der nicht von einer zahlreichen militairischen Escorte begleitet wurde, war ihr verfallen, und weder die zornigen Befehle des Pascha’s noch die Anstrengungen des Bey’s hatten vermocht, dem Unwesen zu steuern. Jetzt stand der fürchterliche und kühne Mann vor uns und erklärte, daß Rahel sich in seiner Gewalt befinde. Jedenfalls hatte er sie des Lösegeldes wegen geraubt, denn Ben Arahab war als sehr reich bekannt.
»Ja, Habihb (Geliebter), der Kofla-Aga!« wiederholte er in stolzem Tone.
»Allah kerihm, Gott ist gnädig! was soll sie bei Dir?«
»Willst Du sie wieder haben?«
»Ja, ja – so bald wie möglich – jetzt gleich! Du hast sie gefunden. Du willst sie wiederbringen – Handullillah, Preis sei Gott; Du bist ein ehrlicher Mann!«
»Hilf ihm, o Gott; er ist delih, verrückt geworden!« spottete der Räuber. »Du sollst sie haben, gesund und unverletzt, sobald Du mir zehn Beutel in Gold (51000 Mark) bezahlst.«
»Bezahlst –?« Wie von einer Natter gestochen, schnellte Manasse bei Seite. »So hast Du sie geraubt? Bösewicht, ich werde Dich auf der Stelle festhalten lassen!«
»Das thust Du nicht,« klang es unter einer verächtlichen Handbewegung; »denn ich schwöre Dir beim Barte des Propheten, Dein Kind stirbt, sobald ich nicht zur festgesetzten Stunde zurückgekehrt bin! Ich gebe Dir zwei Wochen Zeit, die Beutel herbeizuschaffen, und werde Dir dann sagen, wohin sie zu liefern sind.«
»Zehn Beutel in Gold! Ich bring sie nicht zusammen!«
»So wird das Mädchen mein Weib und meiner Männer Weib, Allah weiß es, und dann stirbt sie! Jetzt aber halte Deinen Mund verschlossen, denn was der Kofla-Aga beim Barte des Propheten schwört, das bricht er nie. Salem aaleïkum, Friede sei mit Dir!«
Ohne mich auch nur mit einem einzigen Worte beachtet zu haben, schritt er hinaus. Manasse Ben Arahab aber sank wie vernichtet auf die Kissen nieder. Es war ihm niemals ein so unvortheilhaftes Geschäft angeboten worden wie dasjenige, welches der Mann mit der goldenen Spange und den silbernen Pistolenbeschlägen mit ihm eingeleitet hatte. –
II.
Wir waren nun drei Tage lang von Murzuk nach Augilah unterwegs. Die Speditionskarawane, welcher ich mich mit Ali angeschlossen hatte, war von Manasse ausgerüstet worden, obgleich ich ihm gerathen hatte, damit noch zu warten, bis sie sich einem größeren Zuge anschließen könne. Allerdings wurden die Güter schon seit längerer Zeit erwartet, und er meinte, da der Kofla-Aga jetzt mit den zehn Beuteln beschäftigt sei, so werde ein Ueberfall nicht zu fürchten sein, trotzdem der Bey ihm keine Schutzwache mit geben könne, weil der für solche Zwecke bestimmte Theil der nur 250 Mann starken türkischen Garnison zu Murzuk sich schon nach allen Winden hin unterwegs befand.
Ich war anderer Meinung. Es war jedenfalls sicher, daß der Räuber das Haus Ben Arahab’s bewachen ließ und folglich den Abgang der Karawane
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