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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kämpfen?«
    »Und wenn nun diese Geister Menschen wären?«
    Der gute Ali riß den Mund so weit wie möglich auf; er konnte nicht eher begreifen, auf welche Weise ein Geist ein Mensch sein könne, als bis ich ihm die nöthige Aufklärung gab.
    »Bismillah, im Namen Gottes, Sihdi, Du bist weise wie Sultan Soliman, als er das Kind zerschneiden wollte! Doch was für Männer könnten auf el Kasr wohnen?«
    »Vielleicht der Kofla-Aga mit seinen Räubern!«
    »Der Kofla-Aga – der Kofla-Aga – der Würger der Karawanen?« wiederholte er mehrere Male, um seinen unschuldigen Verstand für den kühnen Gedanken empfänglicher zu machen; dann streckte er sich lang auf die Bastdecke aus und schloß die Augen. Ich wußte, daß er nun in der betreffenden Angelegenheit nicht eher wieder zu sprechen sei, als bis er den Gegenstand vollständig verarbeitet hatte.
    Er unterbrach sein Nachdenken nur dann auf kurze Zeit, als die Sonne in das Sandmeer tauchte. Da erhob er sich in die Kniee und rief:
    »Jetzt ertönt von allen Moscheen der Gläubigen der Ruf des Mueddin: ›Hai aal el sallah, ja, rüste Dich zum Gebete!« Wende ab Dein Angesicht, Sihdi, denn ich will mich waschen und nach Mekka schauen!‹
    Er betete den vorgeschriebenen Abschnitt aus dem Koran und ließ an Stelle des Wassers, welches in der Wüste mangelt, den aufgerafften Sand durch die Hände laufen. Dann nahm er seine vorige Stellung wieder ein.
    Auch ich streckte mich aus und rollte mich in meine Decke, um mich so viel wie möglich gegen die fast unausstehliche Hitze zu schützen, welche jetzt nach dem Sinken der Sonne der glühende Erdboden auszustrahlen begann. Ich hatte zuvor beschlossen, nach nur kurzer Rast der Karawane zu folgen; da diese aber jedenfalls auch bald Lager machte und dieses vor Tagesgrauen nicht wieder verließ, so nahm ich mir vor, zu bleiben wo ich war. Ich konnte am Morgen ihren Spuren leichter folgen als jetzt, wo trotz des helleren Lichtes der südlichen Sterne das Auge in eine größere Entfernung nicht zu dringen vermochte.
    Ich ließ mein Hedjihn sich zur Erde legen; Ali folgte meinem Beispiele und mit Hülfe einiger Durrhakuchen (aus Negerhirse) und unserer Kirba (kleine Wasserschläuche für den persönlichen Tagesgebrauch) hielten wir ein frugales Abendmahl, nach dessen Beendigung wir den Schlaf suchten. Die ausgedehnten Fernen des Oceanes, die weiten Ebenen der amerikanischen Prairieen, Savannen, Pampa’s und Llano’s, die lang und breitgestreckten Flächen der Wüste, sie haben gewiß sehr Vieles gemein, aber die beiden Ersteren vermögen nie den Eindruck der Oede, Verlassenheit und Trostlosigkeit zu machen, wie die Letztere, von welcher Freiligrath so treffend sagt: »Sie liegt vor Gott in ihrer Leere wie eine leere Bettlerfaust.« Dieser Eindruck ist, je weiter entfernt man sich von menschlichen Wesen weiß, ein desto überwältigender; man fühlt sich hingeworfen in eine tödtliche Verlassen-und Vergessenheit, wie ein winziges Körnchen Sand in das unermeßliche Stein-und Trümmermeer, in welchem den verwegenen Wanderer auf Schritt und Tritt die häßliche Larve des Todes umgrinst.
    Ich schloß die Augen. Das ausglühende Licht des Tages brannte fort in ihnen, und ich fiel nur langsam in einen unruhigen Schlummer, welcher mir die Gestalten Ali’s, Rahel’s, Kofla-Aga’s, den alten Schech el Djemahli und el Kasr, die Geisterburg mit el Büdj, dem gewaltigen Bartgeier und den todt aus der Luft herabstürzenden Thiuhr el Djinne in wirrem Durcheinander vorführte. Sogar die Himmelsmauer sah ich niederschmettern mit dem Teufel, der sich an ihr festgekrallt hatte, und wälzte mich stöhnend hin und her, bis endlich kurz vor Sonnenaufgang sich ein tieferer Schlaf meiner erbarmte.
    Er währte nicht lange, denn die Stimme Ali’s weckte mich, welcher knieend und das Angesicht nach Osten gewendet das Fetjer betete, welches kein guter Moslemim zur Zeit des Zwielichtes vor der Morgenröthe versäumt.
    Nachdem wir einen Schluck Wassers und einige Bissen Durrahkuchen zu uns genommen hatten, brachen wir auf. Wer im »wilden Westen« von Nordamerika auf die Fährte des Büffels, Bären oder Indianers zu achten gelernt hatte, dem konnte es nicht schwer werden, die Spuren der Karawane dem von scharfem Steingeröll bedeckten Boden abzulesen, trotzdem ich deutlich erkannte, daß sie in kurzer Zeit verwischt sein würden.
    Wir mochten wohl etwas über eine deutsche Meile zurückgelegt haben, als wir den Ort erreichten, wo sie allem Anscheine

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