Der Gitano. Abenteuererzählungen
den ich an jenem Vormittage auf dem Dache des Nachbarhauses sah. Wer ist dieser – und wo hast Du ihn kennen gelernt?«
Ich hörte diese Fragen kaum noch. Es war, als sei mir ein Keulenschlag mitten hinein in’s tiefste Herz versetzt worden; wie erstarrt blieb ich stehen und mußte in diesem Augenblicke einen Besorgniß erregenden Anblick geboten haben, denn der Bruder rief, mich am Arme fortziehend:
»Um des Himmels Willen, was hast Du? Komm, komm, wir müssen den Beiden folgen; jetzt haben wir ihn!«
Ich hielt ihn zurück, denn ein einziger Blick hatte mich belehrt, daß wir ihnen nicht nachzuschleichen brauchten.
»Das ist nicht nothwendig; sie werden vielmehr uns verfolgen!«
»Sie uns? Weshalb?«
»Frage jetzt nicht, sondern komm!«
Mit ängstlicher, fieberischer Haft drängte ich vorwärts; es war in mir eine Ahnung aufgestiegen, eine Ahnung, so furchtbar und doch auch wieder – doch nein, ich konnte den Gedanken nicht fassen, sondern eilte, die Bemerkungen des Bruders gar nicht beachtend, auf das Entree des Hotels zu und sprang mehr als ich stieg die Treppe empor, welche zu meinem Zimmer führte.
Es war leer, als wir eintraten; Leïlet befand sich also im Nebengemache.
»Aber sage mir nur endlich, was Du hast? Du bist ja trotz des Sonnenbrandes so blaß wie eine Leiche, und Deine Augen blicken wahrhaft furchterregend.«
»Was ich habe? Da siehe es selbst!«
Ich öffnete die Thür und schob ihn in das Zimmer. Eine einzige Sekunde war es still da drinnen, eine Sekunde, die für mich wie eine Ewigkeit wog, und dann jubelte es laut und jauchzend:
»Warde!«
»Bernardo!«
Sie hatten sich erkannt; sie hatten sich wieder. Ich aber stand inmitten meines Zimmers und fühlte, wie mir das Blut das Herz zu zersprengen, zu zerreißen drohte; es wurde dunkel vor meinen Augen – die Wände wirbelten mit sausender Schnelle um mich herum – die Füße fühlten den Halt unter sich weichen – die Hände suchten vergebens nach einem Stützpunkte – und wie von einer riesigen Faust niedergestreckt, brach ich zusammen und schlug besinnungslos auf den Boden nieder.
Wie lange ich gelegen, ich weiß es nicht; aber als ich erwachte, lag ich auf dem Divan, fühlte meine Hand in derjenigen des Bruders und blickte in das liebevoll auf mich gerichtete, thränenfeuchte Auge Leïlets, welche sich voll Sorge über mich gebeugt hatte.
»Ich heiße Warde, Abrahim-Arha nannte mich Leïlet,« erklärte sie mir.
Ich nickte; sprechen konnte ich nicht; es war mir unmöglich, auch nur einen einzigen Laut zu stammeln. Sie war die Geliebte des Bruders; nun war mir Alles klar, und so manche Kleinigkeit, so mancher Zug, für den mir die Erklärung gefehlt hatte, wurde mir jetzt begreiflich.
Sie hatte ihr Auge forschend auf mich gerichtet, als sie meine Stimme zum ersten Male hörte. Der Klang erinnerte sie an Bernhardt. Meine Aehnlichkeit mit ihm hatte ihr Vertrauen eingeflößt, ohne daß sie sich dieses Grundes klar bewußt wurde. Dankbarkeit und Liebe waren in ihrem Innern in Zwiespalt gerathen, daher die Unklarheit in ihrem Thun und Wesen. Erst gestern hatte sie bei dem Blicke auf die Mappe meinen wirklichen deutschen Namen erfahren und ihre Mittheilung zurückgehalten, da sich nun Alles ja ganz von selbst auflösen mußte.
Da trat der Kellner ein und meldete zwei Männer, welche nach mir gefragt hatten. Warde entfernte sich, und ich richtete mich empor.
»Bitte, Bernhardt, laß mich für Dich handeln!« konnte ich nur noch sagen und dann traten sie ein. Es war der Schwager Leïlets und Abrahim, in deren Mienen der Triumph, uns überrumpelt und gefangen zu haben, sich deutlich ausprägte.
Es verstieß ganz gegen die gewöhnliche Handlungsweise des Morgenländers, uns ohne ceremonielle Vorbereitung, persönlich und ohne obrigkeitliche Begleitung in einer Angelegenheit aufzusuchen, die einen strafgesetzlichen Character hatte. Jedenfalls wurden sie von gewissen Berechnungen dazu bewogen, denen ich durch ein möglichst kurzes, bündiges und kräftiges Verhalten begegnen mußte. Ohne eine Anrede abzuwarten, nahm ich deshalb zuerst das Wort und begann, die Glocke nach einem Diener ziehend:
»Abrahim-Arha, Du bist ein höflicher und gütiger Mann. Ich hätte vielleicht vergeblich nach Dir suchen müssen, wenn Du nicht selbst gekommen wärest!«
»Ich verstehe nicht, was Du sprichst!« antwortete er, sichtlich verblüfft über die ruhige Art und Weise, ihn zu empfangen, der doch jedenfalls erwartet hatte, uns im höchsten Grade
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