Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
Formulare aus dünnem, farbigem Papier. Es gibt gelbe, blaue und rosafarbene. An der Wand hängt eine Uhr, deren lautes Ticken in dem weiß gekachelten Raum widerhallt. Daneben zeigt ein vergilbter Kalender ein Strandidyll. Unterhalb des ausgeblichenen Fotos reihen sich Zahlen aneinander. Alle sind gleichförmig schwarz, keine Farbe, kein Zeichen markiert einen Sonntag.
Als der Kalender neu war, hat jemand die Tage durchgestrichen, um in der eintönigen Reihe die Orientierung zu behalten. Doch die voreilige Annahme, ein neues Jahr werde auch einen neuen Kalender bringen, erwies sich offensichtlich als falsch. Im zweiten Jahr wurden die Tage mit Buntstift unterstrichen, im dritten kamen Punkte neben jede Zahl. Danach hat der Benutzer aufgehört, den aktuellen Tag zu kennzeichnen. Dass der Kalender trotzdem noch viele Jahre an sich vorbeiziehen sah, bezeugt sein abgegriffenes Papier. Ob er noch jetzt verwendet wird oder nur zufällig den richtigen Monat anzeigt, kann man beim besten Willen nicht sagen.
Am Nachmittag besuchen Robert und Jobogo einen der wichtigsten Männer in Goma. Dominique ist Belgier und kann alles besorgen, was man braucht. Sein Laden auf zwei Etagen in einer Industriehalle erweist sich als wahre Schatzgrube. Computer, Telefone, Werkzeuge, Generatoren, Batterien. Robert kann es kaum glauben, dass er mitten im scheinbaren Chaos und offensichtlichen Verfall dieser Stadt ein Geschäft findet, in dem man tatsächlich neue, original verpackte Waren kaufen kann. Dominique fliegt alle paar Monate nach Europa. Was er nicht auf Lager hat, kann er besorgen. Er hat erkannt, dass man hier, wo viele Hilfsorganisationen arbeiten, trotz allem Elend – oder vielleicht gerade deswegen – gute Geschäfte machen kann.
Die Wege in Goma sind beschwerlich. Die Straßen sind schlecht und voller Menschen. Schnell geht hier nur das Unnormale. Raub, Mord, Unfälle. Das Normale dauert lange und wird nicht einfach so nebenbei erledigt. Einkaufen, Geld abheben, ein Bier trinken. Mit Ungeduld kommt man nicht weit, sie streut nur weiteren Sand in das Getriebe, das sich quälend langsam in Bewegung setzt. Die afrikanische Methode, erst einmal abzuwarten, stehen zu bleiben, zu schauen und vielleicht einen Schwatz zu halten, ist bedeutend hilfreicher.
Auch das Einkaufen ist langwierig. Als Ausländer zahlt man im Vergleich zu Einheimischen oft den dreifachen Preis. Das ärgert Robert nicht, aber ein wenig verhandeln muss man immer. Denn wenn man ohne zu schachern bezahlt, was verlangt wird, hält einen der Händler für verrückt.
Robert findet ein Haus, das günstig in der Avenue Mont Goma liegt. In der Nachbarschaft befinden sich die Hauptquartiere der UN-Truppen und des lokalen Militärs. In einer Gegend, in der die Macht der Waffen mehr zählt als Gesetze, ist es sicherer in der Nähe von Kanonen und Panzern. Um das Haus verläuft eine Mauer, die auch einen kleinen Garten einschließt. Drinnen hauste der Vormieter mit einem Affen und einem Papagei. Alle Räume sind verdreckt, voller Zecken und Flöhe, sodass es Tage dauert, bis das Gebäude wieder bewohnbar ist. Kaum zu glauben, dass die Miete trotzdem 350 Dollar im Monat beträgt.
Eines Abends spaziert Robert die Straße vor seinem neuen Zuhause entlang. Sie führt einen kleinen Hügel hinauf, auf dessen Spitze sich ein Militärlager befindet. Von dort, so wurde ihm gesagt, kann man herrliche Sonnenuntergänge beobachten. Die Straße säumen Häuser, auf deren Fassaden der Krieg keine Spuren hinterlassen hat. Offiziere leben hier oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Ein gewöhnlicher Einheimischer könnte es sich niemals leisten, hier zu wohnen. Über die Mauern der Grundstücke ranken Bougainvilleen, Trompetenblumen oder Clematis. Die Einfahrten sind mit Bordsteinen eingefasst, und hinter den Fensterscheiben hängen Gardinen.
Doch auch hier wird man immer wieder daran erinnert, dass Normalität kein selbstverständlicher Luxus ist. Die Dieselgeneratoren des Kraftwerks arbeiten nur unzuverlässig. Selbst wenn sie es tun, reicht ihre Leistung nicht aus, um die ganze Stadt fortwährend mit Energie zu versorgen. Es gibt nur unregelmäßig Strom, sodass man mit großen Batterien vorsorgen muss. Fließt der Strom wieder, dann gilt es, so viel wie möglich aus dem Netz zu saugen und zu speichern. Wasser kommt auch nicht immer aus den Hähnen. Trinkbar ist es in keinem Fall, egal ob es Grundwasser ist oder aus dem See gepumpt wird. Zur Körperpflege genügt es, will man
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