Der große deutsche Märchenschatz
Bäume; die Hütten hinter ihnen hatten nichts Abschreckendes, und mehrere Einwohner des Dorfes kamen und erzählten von der seltsamen Nacht, und dass sie über den Hof gegangen seien, wo die Zigeuner gewohnt, die wohl fortgegangen sein müssten, weil die Hütten leer ständen und im Innern ganz gewöhnlich wie die Wohnungen andrer armen Leute aussähen; einiges vom Hausrat wäre zurückgeblieben. Elfriede sagte zu ihrer Mutter heimlich: »Als ich in der Nacht nicht schlafen konnte und in der Angst bei dem Getümmel von Herzen betete, da öffnete sich plötzlich meine Tür, und herein trat meine Gespielin, um Abschied von mir zu nehmen. Sie hatte eine Reisetasche um, einen Hut auf ihren Kopf und einen groÃen Wanderstab in der Hand. Sie war sehr böse auf dich, weil sie deinetwegen nun die gröÃten und schmerzhaftesten Strafen aushalten müsse, da sie dich doch immer so geliebt habe; denn alle, so wie sie sagte, verlieÃen nur sehr ungern diese Gegend.«
Marie verbot ihr, davon zu sprechen, und indem kam auch der Fährmann vom Strome herüber, welcher Wunderdinge erzählte. Mit einbrechender Nacht war ein groÃer fremder Mann zu ihm gekommen, welcher ihm bis zum Sonnenaufgang die Fähre abgemietet habe, doch mit dem Bedingnis, dass er sich still zu Hause halten und schlafen, wenigstens nicht aus der Tür treten solle. »Ich fürchtete mich«, fuhr der Alte fort, »aber der seltsame Handel lieà mich nicht schlafen. Sacht schlich ich mich ans Fenster und schaute nach dem Strome. GroÃe Wolken trieben unruhig durch den Himmel und die fernen Wälder rauschten bange; es war, als wenn meine Hütte bebte und Klagen und Winseln um das Haus schlich. Da sah ich plötzlich ein weià strömendes Licht, das breiter und immer breiter wurde, wie viele Tausend niedergefallene Sterne, funkelnd und wogend bewegte es sich von dem finstern Tannengrunde her, zog über das Feld und verbreitete sich nach dem Flusse hin. Da hörte ich ein Trappeln, ein Klirren, ein Flüstern und Säuseln näher und näher; es ging nach meiner Fähre hin, hinein stiegen alle, groÃe und kleine leuchtende Gestalten, Männer und Frauen, wie es schien, und Kinder, und der groÃe fremde Mann fuhr sie alle hinüber; im Strome schwammen neben dem Fahrzeuge viel Tausend helle Gebilde, in der Luft flatterten Lichter und weiÃe Nebel, und alles klagte und jammerte, dass sie so weit, weit reisen müssten, aus der geliebten angewöhnten Gegend fort. Der Ruderschlag und das Wasser rauschten dazwischen, und dann war wieder plötzlich eine Stille. Oft stieà die Fähre an und kam zurück und ward von Neuem beladen, auch viele schwere GefäÃe nahmen sie mit, die grässliche kleine Gesellen trugen und rollten; waren es Teufel, waren es Kobolde, ich weià es nicht. Dann kam im wogenden Glanz ein stattlicher Zug. Ein Greis, schien es, auf einem weiÃen kleinen Rosse, um den sich alles drängte; ich sah aber nur den Kopf des Pferdes, denn es war über und über mit kostbaren glänzenden Decken verhangen; auf dem Haupt trug der Alte eine Krone, sodass ich dachte, als er hinübergefahren, die Sonne wolle von dorten aufgehn, und das Morgenrot funkle mir entgegen. So währte es die ganze Nacht; ich schlief endlich in dem Gewirre ein, zum Teil in Freude, zum Teil in Schauder. Am Morgen war alles ruhig, aber der Fluss ist wie weggelaufen, sodass ich Not haben werde, mein Fahrzeug zu regieren.«
Noch in demselben Jahre war ein Misswuchs, die Wälder starben ab, die Quellen vertrockneten, und dieselbe Gegend, die sonst die Freude jedes Durchreisenden gewesen war, stand im Herbst verödet, nackt und kahl und zeigte kaum hie und da noch im Meere von Sand ein Plätzchen, wo Gras mit fahlem Grün emporwuchs. Die Obstbäume gingen alle aus, die Weinberge verdarben, und der Anblick der Landschaft war so traurig, dass der Graf im folgenden Jahre mit seiner Familie das Schloss verlieÃ, welches nachher verfiel und zur Ruine wurde.
Elfriede betrachtete Tag und Nacht mit der gröÃten Sehnsucht ihre Rose und gedachte ihrer Gespielin, und so wie die Blume sich neigte und welkte, so senkte sie auch das Köpfchen und war schon vor dem Frühlinge verschmachtet. Marie stand oft auf dem Platze vor der Hütte und beweinte das entschwundene Glück. Sie verzehrte sich, wie ihr Kind, und folgte ihm in einigen Jahren. Der alte Martin zog
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