Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
unerwartete Serenade gelten möchte.
Die Musiker spielten einige ernste, klagende Stellen aus älteren Tonwerken, deren edle, kräftige Unbefangenheit süß und wohllautend das helle Mondlicht durchklang und in ihrer klaren Bestimmtheit mit den scharfen Umrissen der voll beleuchteten Gegenstände wetteiferte. Agnes saß zuhinterst in der matt erleuchteten Stube; die schöne Musik tönte in ihren dumpfen Schmerz hinein, sie erhob das schwere Köpfchen und lauschte alsobald mit kindlich neugierigem Wohlbehagen den Tönen, ohne sich zu wundern noch zu kümmern, woher sie kämen. Ihre Mutter dagegen eilte ans Fenster, und sobald sie sich überzeugt hatte, daß die Herren nur an ihr Haus hinaufspielten, rief sie »Bei Marias Hilf und frommer Fürbitte! Wir haben ein Ständchen! Wir haben ein Ständchen!« Sie zündete sogleich die zwei rosenroten Wachskerzen an, welche sonst immer wie Altarleuchter vor ihrem Bildnisse standen, und stellte dieselben feierlich auf den Tisch, damit jedermann an der hell erleuchteten Stube sehen sollte, wem die Musik gelte. Dann zog sie ihre Tochter, die sie kurz vorher gescholten hatte, freundlich zum Fenster, und Agnes sah lächelnd auf die freundlichen Musiker nieder. Diese gingen nun in einen raschern Takt und in hellere Weisen über, und nachdem sie dieselben mit kräftigem Bogenstrich geschlossen, begannen sie plötzlich, ebenso geübt im Gesange wie im Spiel, ein vierstimmiges Frühlingslied zu singen, daß der wohltönende Gesang heiter in die Lüfte stieg. Sie begleiteten sich selbst auf ihren Instrumenten, bald mit zartem Bogenstrich, bald mit der Hand die Saiten rührend.
In der zarten und doch festen Tüchtigkeit dieses Vortrages tat sich ein wohlbestelltes Gemüt kund, und die zusammenklingenden Männerstimmen richteten Agnesens Seelchen auf und drangen mit ehrendem und tröstendem Schmeicheln in ihr verzagtes Blut.
Sie errötete freundlich und schlief diese Nacht wieder zum ersten Mal froh und ruhig, in beiden zierlichen Ohrmuscheln die wohltuenden Töne bewahrend.
Am andern Tage fand sich der Gottesmacher im Häuschen der Malerswitwe ein und stellte sich als den Urheber des nächtlichen Konzertes vor. Die Alte errötete noch mehr als ihre Tochter, und alle drei befanden sich in einiger Verlegenheit. Um diese zu unterbrechen, erbat sich der Rheinländer Entschuldigung für die Freiheit, die er sich genommen, so ohne weiteres mit einer Nachtmusik aufzuwarten, und zugleich die Erlaubnis, seine Besuche fortsetzen zu dürfen. Diese wurde ihm gewährt; das junge Mädchen fand sich durch die musikalische Ehrenrettung aus einer peinvollen und öden Lage erlöst; sie fühlte nun reiner das süßherbe Weh des Liebesunglückes, und in ihr Leid um Ferdinand Lys mischte sich mit nicht abzuwehrender Wärme die Dankbarkeit gegen den wohlgesinnten Gottesmacher.
Dieser brachte mehrere Male seine Freunde samt den Instrumenten mit und führte mit ihnen in Agnesens Wohnung kleine Konzerte auf, denen niemand zuhörte als sie und ihre Mutter. Die klare Musik, die wohlgemessenen Töne hellten ihren Geist auf und erweckten reifende, bewußte Gedanken in ihr, so daß eine ernste Haltung, ein inhaltsvollerer Blick mit ihrer Kindlichkeit und ihrem naiven Wesen sich mit großem Reize vereinigten.
Als eines Abends der Gottesmacher sich mit seinen Freunden entfernt hatte, kehrte er gleich darauf allein zurück und in sonderbarer angenehmer Aufregung, und indem er einen glänzenden Blick auf die reizende Gestalt des Mädchens warf, küßte er der Mutter die Hand, nahm sich zusammen und hielt, im Anfang nicht ohne Stottern, folgende Rede: »Sie sind, liebeköstliche Agnes – Ihre Tochter ist, verehrte Frau! von einem glänzenden Liebhaber herzlos verlassen. Weder mit den persönlichen Vorzügen noch mit den Reichtümern jenes Treulosen begabt, fühle ich dennoch mich unaufhaltsam getrieben und gezwungen, das Glück herauszufordern, mich an die Stelle des Verschwundenen zu drängen und mit meiner Hand der Verlassenen ein leidenschaftlich erregtes, aber dauerhaftes und treues Herz anzubieten! – Ich bin ein Silberschmied und am Rhein zu Hause; meine Eltern sind mir schon früh gestorben, so daß ich von Jugend auf allein in der Welt stand. Aber nachdem ich in Arbeit, Musik und Lustigkeit viele sorgenvolle und lustige, klangvolle Jahre zugebracht, fiel mir von weiter Verwandtschaft her das Erbe eines schönen, frommen und nährenden Heimwesens zu, durch den Schutz der gebenedeiten Jungfrau. Ich hatte nun
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