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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Fleischeslust, Herzensverstocktheit, Augen-und Ohrendienst zu reden, ohne eine klare Vorstellung von den betreffenden Organen zu besitzen.
    Auf Heinrich, welcher arglos gekommen war, zu äußerer plastischer Verwendung einige gute Kenntnisse zu holen, wirkte schon die erste Stunde so, daß er sowohl seinen Zweck als alle seine Verhältnisse vergaß und allein gespannt war auf die zuströmende Erfahrung. Hauptsächlich beschäftigte ihn alsobald die wunderbar scheinende Zweckmäßigkeit in den Einzelheiten des tierischen Organismus; jede neue Tatsache schien ihm ein Beweis zu sein von der Scharfsinnigkeit und Geschicklichkeit Gottes, und obgleich er sich sein Leben lang die ganze Welt nur als vorgedacht und geschaffen vorgestellt hatte, so war es ihm nun bei diesem ersten Einblicke zu Mut, als ob er bisher eigentlich gar nichts gewußt hätte von der Erschaffung der Kreatur, dagegen jetzt mit der lebendigsten Überzeugung wider jedermann das Dasein und die Weisheit des Schöpfers behaupten könne und wolle. Aber nachdem der kluge Lehrer die Trefllichkeit und Unentbehrlichkeit der Dinge auf das schönste geschildert, ließ er sie unvermerkt in sich selbst ruhen und so vollkommen ineinander aufgehen, daß die ausschweifenden Schöpfergedanken ebenso unvermerkt zurückkehrten und in den geschlossenen Kreis der Tatsachen gebannt blieben, welcher jener Schlange der Ewigkeit gleicht, die sich selbst in den Schwanz beißt. Und wo ein Teil noch unerklärlich war und dunkel ins Fabelhafte verschwand, da holte der Redner ein helles Licht aus dem Erklärten und ließ es in jene Dunkelheit glänzen, so daß wenigstens alle unbescheidenen und ungehörigen Seitengedanken vertrieben wurden und der dunkle Gegenstand unberührt und jungfräulich seiner Zeit harrte, wie eine ferne Küste im Frühlichte. Selbst da, wo er entsagen zu müssen glaubte auf eine jemalige Erkenntnis, tat er dies mit der überzeugenden Hinweisung, daß doch alles mit rechten Dingen zuginge und in der Grenze des menschlichen Wahrnehmungsvermögens keineswegs eine Grenze der Folgerichtigkeit und Einheit der Natur läge. Hiebei brauchte er keinerlei gewaltsame Reden und vermied gewisse theologische Ausdrücke so gut wie den Widerspruch dagegen; die Stumpfsinnigen und Eingenommenen merkten auch von allem nichts und schrieben unverdrossen nieder, was ihnen zweckdienlich schien für Eigenliebe und aufzustellende Meinungen, während die Unbefangenen alle Hintergedanken fahrenließen und bei des Lehrers klugen Wendungen mit frohem Lächeln die Achtung vor dem reinen Wissen lernten.
    Auch im zuhörenden Heinrich traten die willkürlichen Voraussetzungen und Anwendungen bald in den Hintergrund, ohne daß er wußte, wie ihm geschah, als er sich den Einwirkungen der einfachen Tatsachen hingab; denn das Suchen nach Wahrheit ist immer ohne Arg, unverfänglich und schuldlos; nur in dem Augenblicke, wo es aufhört, fängt die Lüge an bei Christ und Heide. Er versäumte nun keine Stunde in dem Hörsaal und nahm begierig ein neues Ganzes in sich auf, welches er vom Anfang bis zum Ende verstand und übersehen konnte. Wie ein Alp fiel es ihm vom Herzen, daß er nun doch noch etwas zu wissen anfing; im gleichen Augenblicke bereute er auch nicht mehr die gewaltsame und lange Unterbrechung des Lernens, da dasselbe dem Stillen des leiblichen Hungers gleicht sobald der Mensch zu essen hat, empfindet er nichts mehr von der Pein und der Ungeduld des Hungers. Das Glück des Wissens gehört auch dadurch zum wahren Glücke, daß es einfach und rückhaltlos und, ob es früh oder spät eintrete, immer ganz das ist, was es sein kann, ohne Reue über das Versäumte zu erwecken; es weiset vorwärts und nicht zurück und läßt über dem unabänderlichen Bestand und Leben des Gesetzes die eigene Vergänglichkeit vergessen.
    Heinrich wurde von Wohlwollen und Liebe erfüllt gegen den beredten Lehrer, von dem er nicht gekannt war und mit welchem er nicht ein Wort gesprochen hatte; denn es ist nicht eine schlimme Eigenschaft des Menschen, daß er für geistige Wohltaten dankbarer ist als für leibliche, und sogar in dem erhöhten Maße, daß die Dankbarkeit und Anhänglichkeit wächst, je weniger selbst die geistige Wohltat irgendeinem unmittelbaren äußerlichen Nutzen Vorschub zu leisten scheint. Nur wenn leibliches Wohltun so hingebend und unwandelbar ist, daß es Zeugnis gibt von einer moralischen Kraft, also dem Empfänger wiederum zu einer geistigen Erfahrung und Wohltat, zu einem innern

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