Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Vetterlein, daß Ihr es auch zu was bringt und das zu Ende führet, was er angefangen hat. Allem Anscheine nach werdet Ihr für die Feder gut sein, sonderlich da Euch die Mutter gut schulen läßt, soviel wir hören, und was ehrenfest von ihr gehandelt ist. Da müsset Ihr vor allem aus nicht stolz werden und nicht so ein Fuchsschwanz, sondern Euch immerdar zu uns halten, damit Ihr ein rechter Volksmann werdet und wir auch was an Euch haben. Denn wir leiden in unserm Dorfe Not an gelehrten Leuten und müssen unseren Bezirksnachbaren trotz unserer starken Zahl bei Wahlen immer die Vorhand lassen, weil wir keine Federhelden aufbringen können. Wenn Ihr, gutes Vetterlein, daher etwas Rechtes werdet, so brauchet Ihr alsdann die Herren in der Stadt gar nicht, wir wollen Euch schon zu etwas machen. Obgleich Euer Vater schon lange tot ist und es dann noch länger sein wird, so hat er doch in dieser Gegend ein solches Andenken hinterlassen, und Ihr selbst seid so mitten unter uns bürgerlich, daß Ihr weiter keine Gunst brauchet als Euere Tüchtigkeit!«
Diese Rede, an sich etwas zu früh an mich gerichtet, betrübte mich, daß ich ganz stillschwieg; denn erstens war es nun mit der Schule vorbei, was der Mann noch nicht wußte, und zweitens fühlte ich mich nicht nach dem Geschäftsleben hingezogen, fühlte vielmehr eine Art von Grauen vor demselben.
Nachdem ich noch den Stall besehen und in der Scheune jeder Kuh eine Gabel voll Klee hinübergeschoben, verabschiedete ich mich; die Base ließ es sich aber nicht nehmen, mich ein Stück Weges zu begleiten, um mich schnell noch einer anderen Base vorzustellen, wo ich mich nicht lange aufzuhalten brauche für dieses Mal. Ich fand eine freundliche Matrone, nicht ganz von dem edlen und feinen Wesen meiner Großmutter, aber doch voll Anstand und Wohlwollen. Sie lebte allein mit einer Tochter, welche früher, einer häufigen Sitte gemäß, zwei Jahre in der Stadt gedient, dann einen vermöglichen Bauer geheiratet hatte, welcher bald gestorben, und nun Witwe bleiben wollte, wie sie versicherte, obgleich sie erst ungefähr dreißig Jahre alt war. Sie war von hohem und festem Wuchse, ihr Gesicht hatte den ausgeprägten Typus unserer Familie, aber durch eine seltsame Schönheit verklärt; besonders die großen braunen Augen und der Mund mit dem vollen üppigen Kinn machten augenblicklichen Eindruck. Dazu schmückte sie ein schweres dunkles, fast nicht zu bewältigendes Haar. Sie galt für eine Art Lorelei, obschon sie Judith hieß, auch niemand etwas Bestimmtes oder Nachteiliges von ihr wußte. Dies Weib trat nun herein, vom Garten kommend, etwas zurückgebogen, da sie in der Schürze eine Last frischgepflückter Ernteäpfel und darüber eine Masse gebrochener Blumen trug. Dies schüttete sie alles auf den Tisch, wie eine reizende Pomona, daß ein Gewirre von Form, Farbe und Duft sich auf der blanken Tafel verbreitete. Dann grüßte sie mich mit städtischem Akzente, indessen sie aus dem Schatten eines breiten Strohhutes neugierig auf mich herabsah, sagte, sie hätte Durst, holte ein Becken mit Milch herbei, füllte eine Schale davon und bot sie mir an; ich wollte sie ausschlagen, da ich schon genug genossen hatte, allein sie sagte lachend »Trinkt doch!« und machte Anstalt, mir das Gefäß an den Mund zu halten. Daher nahm ich es und schlürfte nun den marmorweißen und kühlen Trank mit einem Zuge hinunter und mit demselben ein unbeschreibliches Behagen, wobei ich sie ganz ruhevoll ansah und so ihrer stolzen Ruhe das Gleichgewicht hielt. Wäre sie ein Mädchen von meinem Alter gewesen, so hätte ich ohne Zweifel meine Unbefangenheit nicht bewahrt. Doch war dies alles nur ein Augenblick, und als ich mir darauf mit den Blumen zu schaffen machte, zwang sie gleich einen großen betäubenden Strauß von Rosen, Nelken und stark duftenden Kräutern zusammen und steckte mir denselben wie ein Almosen in die Hand; das alte Mütterchen füllte meine Taschen mit Äpfeln, daß ich nun, mit Gaben förmlich beladen, ohne Widerrede gedemütigt, von dannen zog, von sämtlichen Frauen zu fleißigem Besuche bei ihnen, wie bei den noch übrigen Verwandten, aufgefordert.
Es war schon tiefer Nachmittag, als ich endlich das Haus meines Oheims wiederfand; es war verschlossen, weil alle Bewohner im Freien waren; doch wußte ich, daß ich durch Scheune und Stall ein Schlupfloch finden würde. In der Scheune sprang mir das Reh entgegen und schloß sich mir unverweilt an, da es ihm langweilig sein mochte, im
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