Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
sprachen; sie saß stillvergnügt neben mir und schlief endlich lächelnd ein. Über ihre geschlossenen Augen ging eine leise Bewegung wie das Wallen eines Vorhanges, hinter welchem etwas vorgeht, man ahnte, daß sich dort Bilder in zartem, verjährtem Sonnenscheine zeigten, und die freundlichen Lippen verkündeten es in schwachen Regungen. Als ich mich erhob, um behutsam fortzugehen, erwachte sie sogleich, hielt mich an und betrachtete mich fremd; wie in ihrer Person das meinem Dasein Vorhergegangene groß und unvermittelt vor mir stand, mochte ich als die Fortsetzung ihres Lebens, als ihre Zukunft dunkel und rätselhaft vor ihr stehen, da meine Tracht wie meine Sprache von allem abwich, worin sie sich lebenslang bewegt hatte. Sie schritt gedankenvoll in die Nebenkammer, wo sie in einem hohen Schranke einen Vorrat neuer Kleinigkeiten aufbewahrte, die sie von fahrenden Krämern zu kaufen pflegte, um sie gelegentlich an das junge Volk zu verschenken. Statt eines mächtigen Taschentuches ergriff sie, ihres blöden Gesichtes wegen, ein kleines rotseidenes Halstuch, wie es Landmädchen tragen, und gab mir es, noch in das gleiche Papier gewickelt, in dem sie es gekauft. Ich mußte ihr versprechen, jeden Tag zu kommen und nächstens einmal dort zu speisen.
Klein Vetter hatte sich längst entfernt, und ich suchte allein meinen Heimweg, das rote Tüchelchen in der Tasche. Bei einem Hause vorbeigehend, bemerkte ich einige derbe Kinder, welche wie der Blitz hineinliefen und dort lärmend etwas riefen. Eine Frau kam heraus, holte mich ein, kündigte sich als Base an und fragte, ob ich denn nichts von ihr und ihrer Familie wisse? Ich bejahte die Frage, indem ich mich entschuldigte, sie nicht gekannt zu haben.
Sie nötigte mich nun in das Haus, wo es von frischgebackenem Brote duftete und eine lange Treppe von unten bis oben mit großen viereckigen und runden Kuchen bedeckt war, auf jeder Staffel einer, um zu verkühlen. Während diese Base, ein rüstiges Weib in voller Blüte der Arbeitslust und Kraft, schnell ihre Haare zurückstrich und eine Schürze umband, hockten die Kinder alle hinter dem heißen Ofen und guckten scheu, doch kichernd hervor. Meine neue Gönnerin verkündigte, daß ich gerade zu einer guten Stunde gekommen sei, da sie heute gebacken hätte; zerschnitt sogleich einen großen Kuchen in vier Stocke und setzte Wein dazu, um dann den Tisch für das Mittagsmahl zu decken. Dieses Haus hatte nicht den patriarchalischen Anstrich wie dasjenige der Großmutter; man sah keine Geräte von Nußbaum, sondern nur von Tannenholz; die Wände waren noch von frischer Holzfarbe, die Ziegel auf dem Dache hellrot wie das zutage tretende Gebälke und vor dem Hause wenig oder kein Baumschatten; die Sonne lag heiß auf dem weiten Gemüsegarten, in welchem nur ein bescheidenes Blumenrevier verkündete, daß diese Haushaltung einen jungen Wohlstand zu begründen im Begriffe und vorderhand an den prosaischen Nutzen gewiesen sei. Nun kam der Mann vom Felde mit dem ältesten Knaben, besorgte, obgleich er vernahm, daß ich in der Stube sei, erst seine Ochsen und Kühe, wusch sich am Brunnen gemächlich die Hände und trat dann, dieselben mir reichend, fest und ruhig herein, sogleich nachsehend, ob seine Frau mich gehörig bewirte. Dabei zeigten die Leute keinerlei Ziererei, als ob ihre Gaben zu gering wären; denn der Bauer ist der einzige, welcher nur sein Brot als das beste erachtet und es als solches jedermann anbietet. Seine Leckerbissen sind die Erstlinge jeder Frucht; die neue Kartoffel, die erste Birne, die Kirschen und die Pflaumen gehen ihm über alles, und er schätzt sie so hoch, daß er wunder glaubt was zu gewinnen, wenn er von fremden Bäumen im Vorübergehen eine Handvoll erhaschen kann, während er an den bunten Leckereien der Städte gleichgültig vorübergeht.
Diese Überzeugung, daß er das Beste und Gesundeste biete, geht auf den Gast über, welcher sich alsbald einer kräftigen Eßlust hingibt, ohne sie zu bereuen.
Darum saß ich schmächtiges »Vetterlein« wieder tapfer schmausend hinter dem Tische, obgleich ich heute schon ein Erkleckliches getan hatte. Mit Wohlwollen überhäuften mich die Verwandten und betrachteten mich, wie jeden Städter, der nicht ein Zinsherr ist, als einen Hungerschlucker. Sie führten ein lebhaftes Gespräch über unser Schicksal und befragten mich des genauesten nach allen unseren Umständen.
Nachdem ich noch den Stall besehen und in der Scheune jeder Kuh eine Gabel voll Klee
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