Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist
lange Pause und betrachtet prüfend ihre Gesichter.
»Clever«, murmelt Eric anerkennend.
»Was für Sie gerade noch ein mathematisches Problem und als solches unlösbar war, hat sich in etwas ganz anderes verwandelt: in ein phonetisches Problem, und als solches war es überhaupt kein großes Problem mehr. Was ist passiert?«
»Sie sagten uns, wir sollten über die Namen der Zahlen nachdenken,
nicht über die Zahlen an sich«, sagt das pinkhaarige Mädchen.
»Richtig. Neues Wissen hat Ihre Herangehensweise verändert, Ihren Lösungsansatz und Ihr Verständnis. Sie sehen jetzt mit anderen Augen, und es gibt kein Zurück. Gut oder schlecht, etwas, was Sie einmal wissen, können Sie nicht mehr nicht wissen. «
Jennifer wirkt alarmiert.
Er wendet sich an sie: »Sie und Ihr Verlobter, wenn Sie mir ein wenig feinsinniges Beispiel erlauben wollen …« (Sie nickt und wird auf ihrem Stuhl ein wenig kleiner.) »Nehmen wir einmal an, Sie kämen eines Abends vom Unterricht nach Hause und ertappten ihn mit Ihrer Schwester im Bett. Sie werden etwas Neues gelernt haben. Sie könnten ihm jetzt verzeihen, Sie könnten ihn verlassen; Sie könnten sich zu ihnen ins Bett legen …«
Eric wacht auf und nickt enthusiastisch.
»Die Entscheidung liegt bei Ihnen«, fährt der Psychologe fort, »und es liegt nicht an mir zu urteilen, doch wie auch immer, Ihr Verständnis Ihrer Wirklichkeit, Ihres Verlobten und Ihrer selbst hat sich signifikant verändert – und das unwiderruflich. «
Der Junge mit der Krawatte windet sich mit sichtlichem Unbehagen auf seinem Stuhl, streicht mit der linken Hand über seine Krawatte und hebt die andere.
»Sie mögen sie nicht verurteilen«, sagt er. »Doch ich möchte Sie daran erinnern, dass es einen Richter gibt. Es gibt einen Richter, dem nichts entgeht.«
Der Psychologe lächelt schwach. »Vielleicht«, sagt er, »doch wir können das nicht mit Sicherheit wissen. Und selbst wenn es einen Richter gibt, bleibt ungewiss, ob Sie an den Richter
glauben oder an den einen oder anderen bedeutenden Kandidaten. Was wir sicher wissen, ist, dass Jennifers Wirklichkeit sich verändert hat.«
»Mein Verlobter würde so etwas nie tun«, murmelt Jennifer, »und ich habe keine Schwester.«
»Nein, natürlich nicht«, seufzt der Psychologe, »so habe ich es nicht gemeint, ich habe metaphorisch gesprochen.« Ein unangenehmes Gefühl steigt in ihm auf und hält ihn gepackt, und er befiehlt sich zu atmen und loszulassen. Sein Blick wandert aus dem Fenster. »Sie sind hierhergekommen, um zu studieren, etwas zu lernen. Man hat Ihnen von einem frühen Alter an gesagt, dass Lernen wichtig ist, dass es wichtig ist, sein Denken zu erweitern; dass eine Ausbildung Ihnen mehr Wohlstand bringt und Ihr Leben bereichert; und all dies ist wahr. Doch es ist nicht die ganze Wahrheit. Wissen ist ein zweischneidiges Schwert. Das ist der Grund, weshalb wir dem Wissen gegenüber ambivalente Gefühle hegen. Das ist der Grund, weshalb Sie und Ihre zukünftigen Klienten nicht immer alles werden wissen wollen – nicht dass es überhaupt möglich wäre, alles zu wissen; was mich an die Geschichte eines antiken Herrschers erinnert, der seinen weisesten Ratgeber zu sich befahl und ihn fragte: Worauf ruht die Welt? Die Welt, sagte der weise Mann, ruht auf dem Rücken eines Elefanten. Worauf ruht der Elefant?, fragte der Herrscher. Der Elefant, das weiß man, ruht auf dem Rücken einer Schildkröte. Worauf ruht die Schildkröte? Der weise Mann zupfte an seinem Bart: Die Schildkröte ruht auf dem Rücken einer anderen Schildkröte. Und worauf ruht diese Schildkröte? Auf einer weiteren Schildkröte. Und die? Der weise Mann warf verzweifelt die Arme in die Höhe: Ich verspreche Euch, Herr, es sind Schildkröten bis nach ganz unten. Aber wo waren wir stehen geblieben?«
»Wissen ist ein zweischneidiges Schwert«, sagt Jennifer pflichtschuldig.
»Danke, Jennifer«, sagt er. »Und unsere Schwierigkeiten sind noch nicht zu Ende, denn über dem Wissen zumindest im evolutionären Sinne schwebt ein weiteres solches Wort – Bewusstsein .«
»Was ist der Unterschied?«, will das pinkhaarige Mädchen wissen.
»Nun, Bewusstsein ist Wissen vom Wissen. Denken Sie zum Beispiel an ein Zebra in der afrikanischen Savanne. Es läuft nicht herum und denkt: Ich bin ein schlechtes Zebra; was für ein Zebra bin ich? Was mache ich mit meinem Zebra-Leben? Warum nicht?«
»Es kann nicht lesen?«, fragt das pinkhaarige Mädchen zögernd.
»Ja. Es verfügt
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