Der Gute Ton 1950
eine delikate Angelegenheit, denn der Platz muss der Wichtigkeit
des Gastes entsprechen. Es ist keine glückliche Lösung, wenn die
Hausfrau in gespielt bedeutungslosem Ton sagt, dass es keinen
Ehrenplatz gibt und jeder sich dahin setzt, wo es ihm gefällt. Die Gäste
werden dies nicht schätzen, sie werden dastehen und warten, bis sich
die Gastgeber endlich entschliessen, ihre Verpflichtung zu erfüllen und
die Plätze anzuweisen.
Der Ehrenplatz für einen Herrn ist rechts von der Hausfrau. Dieser
Platz kommt bei einer Einladung in einem katholischen Haus dem
Geistlichen zu. Er kann auch für einen ausländischen Gast reserviert
sein. Es ist eine gute Sitte, zu einem Ausländer besonders aufmerksam
zu sein, vor allem wenn er sich vielleicht fremd fühlt, weil er die
Sprache des Landes nicht beherrscht. Wenn er neben der Dame des
Hauses sitzen darf, wird er wenigstens nicht
an
Minderwertigkeitskomplexen leiden. Der zweitbedeutende Gast sitzt
links der Hausfrau. Nummer drei, wenn wir den Gästen der ihnen
zukommenden Ehre nach Nummern geben dürfen, sitzt wieder rechts
der Hausfrau usw. Die Regel gilt gleichfalls für die Damen; der
»weibliche Ehrenplatz« ist also rechts des Hausherrn, die Dame Nr. 2
sitzt an seiner linken, die Dame Nr. 3 wieder an seiner rechten Seite
und sofort. Die Dame des Hauses sitzt ihrem Ehemann gegenüber.
Natürlich wechselt immer eine Dame mit einem Herrn ab, man sollte
nie zwei Damen oder zwei Herren nebeneinander sitzen lassen. Auch
aus diesem Grund rieten wir, bei der Einladung die gleiche Zahl
Damen wie Herren vorzusehen.
Diese Regeln sind klar und einfach, aber die An- Wendung verlangt
viel Takt, es sei denn Sie empfangen ein Regiment oder ein
Ministerium. In diesen idealen Fällen entscheidet der Dienstgrad oder
der Titel. Wenn zwei Offiziere den gleichen Rang haben, oder wenn
zwei Beamte den gleichen Titel haben, gehört der ehrenvollere Platz
dem Aelteren, aber nur wenn beide im selben Dienstalter stehen, sonst
hat der Dienstältere den Vortritt vor dem Aelteren. Aber was tun,
wenn man zivile und militärische Gäste empfängt? Wir sollten
Pazifisten sein und der Zivilverwaltung den Vortritt vor dem Militär
geben, wenn die Aemter gleichrangig sind, das heisst: ein Zivilist
erhält nur einen besseren Platz als eine Militärperson, wenn er eine
ebenso grosse Gegend verwaltet wie sie dem militärischen Gast
untersteht. Andererseits kann ein Gast seines persönlichen Ansehens
wegen einen Platz einnehmen, den er seiner Stellung entsprechend
nicht verdient. Die Damen nehmen die Plätze ein, die denen ihrer
Männer entsprechen. Eine Dame sitzt also rechts des Hausherrn, wenn
der Platz ihres Mannes rechts der Hausfrau ist. Wenn man glaubt, dass
zwei Gäste das gleiche Recht auf den Ehrenplatz haben, kann man
folgende Tischordnung wählen: die Frau des Gastes, der links der
Hausfrau sitzt wird rechts vom Hausherrn sitzen, und links des
Hausherrn sitzt die Frau jenes Gastes, der rechts der Hausfrau seinen
Platz eingenommen hat.
Es gibt auch eine Art Hofsitte für den Familienempfang. Eltern,
deren Kinder schon selbständig sind, nehmen nicht unbedingt den
Platz der Gastgeber ein, sie können ihren Kindern den Vorsitz
überlassen. Die Eltern werden sicher verstehen, dass sie zuweilen vor
ihren erwachsenen Kindern zurücktreten müssen und Plätze zweiten
Ranges einnehmen. Das ist ein entzückendes Theater. Beide Ehepartner
werden den Ehrenplatz für die Schwiegereltern reservieren. Rechts der
jungen Frau sitzt also ihr Schwiegervater und links ihr Vater. Ihr
Mann sitzt an der linken Seite seiner Schwiegermutter und zur rechten
seiner Mutter. Die Grosseltern nehmen auf Kosten der Eltern die
Ehrenplätze ein und die »Onkels« kommen vor den Brüdern in der
Familien-tischordnung. Wenn die Eltern ihre Kinder eingeladen und
sie selbst keine Eltern mehr haben, sitzt der Schwiegersohn an der
rechten Seite seiner Schwiegermutter, und an der linken der
Schwiegermutter sitzt ein jüngerer Schwiegersohn oder ein Sohn, wenn
es keinen anderen Schwiegersohn gibt. Dasselbe gilt für die Töchter.
Die Schwiegertochter bekommt den Ehrenplatz rechts ihres
Schwiegervaters, und links des Schwiegervaters sitzt eine jüngere
Schwiegertochter oder eine Tochter.
13 GÄSTE AM TISCH.
Etwas Furchtbares sollen die Gastgeber vermeiden, nämlich 13
Gäste am Tisch zu haben. Dies kann geschehen, wenn sie vergessen
haben, ihre Gäste zu zählen oder
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