Der Henker von Lemgo
ausblutete.
Das
Knochenhauerluder war blass unter dem Blut geworden, mit dem sie sich das
Gesicht beschmiert hatte. In unveränderter Haltung machte sie nur eine hastige
Bewegung mit dem Kopf, um Maria aus der Stube zu weisen.
Doch die ließ sich
nicht einschüchtern. »Sofort beendest du den Spuk!«, schrie sie die Gattin des
Kaufmanns an und erstarrte vollends, als plötzlich ihre Schwester Ilsabein
hinter einem Vorhang hervortrat. »Aber … was machst du in Blattgerstes Haus?«
Ilsabein war von
Natur aus ein blasses Geschöpf, so konnte Maria nicht sehen, wie sie
erbleichte. Sie trug ein blutiges Messer in der Hand und versuchte unbeholfen,
es vor Maria zu verstecken.
»Seid ihr des
Teufels?«, beschwor Maria sie. »Sag endlich etwas, Schwester!«
Ilsabein druckste
herum. »Die Hausherrin … hat mich zu ihrem … kranken Mann rufen lassen. Ich …
sollte ihr helfen, ihn gesund zu pflegen.«
In Marias Augen
loderte es. »Auf eine solch gotteslästerliche Weise? Was ist das für ein
Gebräu, das die Blattgerste ihrem Ehemann einflößt?«
»Eine Medizin aus
Hühnerblut, Kuhdung, zu Pulver gebrannten Maulwurfzehen und Eiweiß. Ich habe es
mit einem halben Schoppen Essig und einem halben Schoppen Hefe-Branntwein
vermischt.«
»Igitt!« Entsetzt
schlug Maria mehrmals das Kreuz vor sich. »Und woher kennst du die
Zusammensetzung? Bringt dir das Knochenhauerluder etwa nun schon das Zaubern
bei?« Längst hatte sie erkannt, dass vor ihr eine Hexenbeschwörung abgehalten
wurde. »Und du, wieso gibst du deinem kranken Ehemann solch ein Gebräu zu
saufen? Willst du ihn umbringen?«, herrschte sie Maria Blattgerste an und war
mit einem Schritt am Bett. Sie wunderte sich, dass die Vermaledeite keinerlei
Furcht vor ihr zeigte und ungehindert ihr Tun fortführte. Sie warf ihr
lediglich einen giftigen Blick aus ihren grünen Augen zu, begann dann, mit den
Fingern beschwörende Runen in die Luft zu zeichnen, und sang dazu mehr, als dass
sie sprach, die Worte: »Rhi edlohnu temmok iebreh!«
»Lass dieses
Kauderwelsch und hör mir zu«, zischte Maria wütend und griff nach ihr, die
immer wilder mit den Armen herumfuchtelte.
Ilsabein war ihrer
Schwester verhalten gefolgt. Mit geheimnisvoller Stimme klärte sie sie auf:
»Sie beschwört die Kräfte der Unterwelt, damit sie ihr in ihrem Schmerz
beistehen.«
»So etwas Unsinniges
ist mir noch nie zu Ohren gekommen. Hat sie etwas eingenommen?«
»Ja, ein Kraut für
den Geist. So kann sie besser Kontakt mit den bösen Kräften aufnehmen.«
»Jetzt reicht es
aber!« Maria drückte der Schwester die Medizin in die Hände und zog die
Blattgerste energisch von ihrem Mann fort. Die wehrte sich zwar nicht besonders
stark, kreischte jedoch hysterisch und bespuckte sie. Dann raufte sie sich wild
die Haare und bedachte sie mit unheilvollen Flüchen.
Maria aber kümmerte
sich nicht um das zeternde Weib, sondern beugte sich über den leblosen
Blattgerste. Sie legte ihm die Finger der rechten Hand an die Halsschlagader
und zog mit denen der anderen die Lider nach oben. Dann schüttelte sie
verständnislos den Kopf und begann, seinen Brustkorb mit den Händen zu
bearbeiten. Aber sosehr sie sich auch anstrengte, das Leben in den
aufgedunsenen Körper zurückzuholen – Blattgerste war mausetot. Als sie sich
dessen bewusst wurde, wich sie erschrocken vor ihm zurück und bekreuzigte sich
mehrmals.
»Du hast ihn
getötet«, murmelte sie in Richtung ihrer Schwester, und es schien ihr die
Wahrheit zu sein, denn Blattgerste hatte sich grün und blau erbrochen.
Ilsabein schrie
leise hinter ihr auf und hielt sich ratlos die Hände vor das Gesicht. »Sie
werden uns als Hexen verbrennen«, wimmerte sie. »Herr im Himmel, steh uns bei!«
»Die Einsicht kommt
spät.«
Maria Blattgerste
stand mit in die Seiten gestemmten Fäusten gegenüber vom Bett und lachte
gehässig.
»Offensichtlich
scheinst du deine Sinne ja wieder beisammenzuhaben«, bemerkte Maria und sah ihr
kampfeslustig ins Gesicht.
»Hatte ich sie denn
schon jemals nicht beisammen?« Die Blattgerste lachte noch breiter. »Ich weiß
sehr wohl, dass mein Ehemann tot ist. Dem Herrn sei Dank, dass er mich von
dieser Plage erlöst hat! Allerdings bin ich mir ganz sicher, dass du meinen
Ehemann verhext hast und er nur durch deine Medizin einen qualvollen Tod hat
erleiden müssen!« Sie täuschte das trauernde Eheweib vor und zog ein
weinerliches Gesicht. »Genauso wie schon zuvor mein Bruder und mein Liebster
durch deine Hand sterben
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