Der Henker von Lemgo
mussten! Ist es dir denn noch immer nicht genug, Hexe?
Musst du mir nun auch noch den Ehemann nehmen? Ich werde dafür sorgen, dass
alle ehrbaren Leute in der Stadt erfahren, welch böse Hexe du bist!«
Entsetzt wich Maria
vor der Blattgerste zurück. Sie war sich des Ausmaßes dessen, was sie eben in
ihrer Überraschung gesagt hatte, durchaus bewusst. »Du bist ja krank im Geist,
Blattgerste! Du bist die Hexe, nicht ich.« Ratlos tauschte
sie mit Ilsabein einen Blick. »Da haben wir uns etwas eingebrockt. Wie bist du
nur in dieses Haus gekommen, Schwester?«
»Ich bin wie du
durch Zufall hier. Mit der Zauberei habe ich nichts zu tun. Ich glaubte, in der
Blattgerste eine Freundin gefunden zu haben.« Ilsabein hob beschwörend die
Hände.
»Die ist mit
niemandem gut Freund. Sie ist abgrundtief böse, und die Einzige, die von uns
dreien wirklich vom Teufel besessen ist. Wir sollten das unheimliche Haus
schleunigst verlassen«, antwortete Maria und schob Ilsabein sogleich vor sich
her zum Ausgang.
Doch vor der Tür
hielt sie die Stimme der Blattgerste zurück: »Du willst mich doch nicht etwa
hier allein zurücklassen? Wir gehören doch der gleichen Zunft an – der
Teufelszunft! Sieh hier!« Sie deutete auf die leichte Wölbung unter ihrer
Schürze. »Ich bin sogar guter Hoffnung vom Satan.«
Maria wies mit dem
Kopf zu dem Toten. »Ist es von ihm?«
»Wo glaubst du hin?
Der Alte hat doch keine Manneskraft mehr besessen. Es ist vom Teufel!«
»Lautet der Name des
Teufels zufällig Hermann Cothmann?«
Die Blattgerste kicherte.
»So ist es. Und genau deshalb brauchst du auch gar nicht zu frohlocken. Wenn
ich es will, bist du die Hexe, und Cothmann wird dich mit einer ganz besonderen
Freude brennen lassen.«
»Niemand hat mich
gesehen, wie ich in dein Haus gegangen bin. Es würde nur wieder ein Gerücht
mehr geben. Aber du, Maria Blattgerste, du solltest vorsichtiger sein. Der hohe
Richter ist ein eiskalter Wolf, ganz bestimmt lässt er sich nicht ohne Weiteres
einen Bastard unterschieben.«
Sie fühlte fast so
etwas wie Mitleid mit der Kontrahentin und drehte sich im Türrahmen noch einmal
nach ihr um. Traurig schüttelte sie den Kopf. »Was ist nur aus dir geworden,
Maria Blattgerste? Wie groß muss dein Hass sein, wenn du meinetwegen deinen
Ehemann tötest?«
»Du hast recht, ich
hasse dich! Weil du mir die liebsten Menschen genommen hast, und das werde ich
dir mein Leben lang nicht vergessen!«, schrie ihr die Witwe hinterher. Doch
Maria und Ilsabein vernahmen ihre Worte nicht mehr. Sie hatten die Stube längst
verlassen.
Am nächsten Morgen
lenkten Margaretha und Ilsabein den Wagen nach dem morgendlichen Markteinkauf
am Hause Hermessen vorbei. Margaretha nahm sich nicht mal die Zeit, das Pferd
in die Diele zu bringen und es den Knechten zu übergeben. Sie sprang vom
Kutschbock, warf der Schwester die Zügel zu und stürmte aufgelöst in die
Barbierstube. »Schwester, ich habe Neuigkeiten! Weißt du schon, dass die
Blattgerste aus der Stadt verschwunden ist?«
»Ruhe, ihr
vermaledeiten Weiber!« Hermann stand mit hochrotem Gesicht über einen vierschrötigen
Kerl gebeugt und hielt dessen Kinn in seiner Hand, während die andere
vorsichtig mit einem Rasiermesser den Schaum von der gewölbten Wange kratzte.
Der Mann rollte bei der Störung durch die Frauen genervt die Augen. Aus seinem
Mund ragte ein Löffelstiel hervor, auf dem Holztisch neben ihm lagen drei
schwärzlich verfärbte, übel riechende Backenzähne, die Hermann ihm zuvor
gezogen hatte. Maria assistierte ihrem Mann und spannte das Leder zum Schärfen
des Messers.
»Das ist mir in der
Tat neu. Ist sie vor den Stadtbütteln geflohen?«
Margaretha blieb ihr
die Antwort schuldig. Hilflos schaute sie von ihr zu Hermann und dann zu dem
Mann.
»Jetzt geh schon,
Marien. Ich schaff den Rest auch allein«, entließ sie Hermann und warf ihr
einen liebevollen Blick zu. »Ich weiß doch: Wenn deine Schwestern kommen, gibt
es immer etwas Neues zu bereden.«
Dankbar drückte ihm
Maria einen Kuss auf die Wange und gebot Margaretha, ihr zu folgen. Ilsabein
hatte inzwischen das Gespann in die Diele gelenkt. Sie erwartete die beiden mit
dem Pferdegeschirr in den Händen.
»Wo bleibt ihr denn?
Es ist wichtig, dass du die Neuigkeit zuerst von uns erfährst und nicht von den
anderen!«
»Was gibt es denn,
dass ihr es sogar auf euch nehmt, Hermanns Zorn heraufzubeschwören?«
»Ach, dein Hermann
beruhigt sich schon wieder«, erwiderte Margaretha. »Die
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