Der Henker von Lemgo
Neugierde wird ihn
bestimmt auch gleich zu uns führen.«
»Da bin ich schon,
Schwägerin.« Hermann wischte sich die Hände an einem Leder ab und wies auf die
leeren Sitzmöbel. »Wollt ihr euch nicht niederlassen und meinen Branntwein
probieren?«
Ilsabein ließ
ehrfurchtsvoll die Augen umherschweifen und staunte. »Alle Achtung, euer
Wohlstand wächst und wächst. Reich verzierte Dielenmöbel mit glänzenden
Beschlägen und nobler Lederbespannung – das kann sich nicht einmal Vater
leisten.«
»Was gibt es denn
nun so Wichtiges? Ich habe mich extra mit meiner Rasur beeilt, damit ich es
erfahre. Schließlich geht alles, was meine Liebste betrifft, auch mich etwas
an.«
»Dann brauchen wir
dir ja nichts über die Vorgänge im Haus Blattgerste zu erzählen. Sicher wirst
du schon von Maria informiert worden sein«, platzte Ilsabein heraus. »Die
Wohnstätte der Blattgerstes ist seit heute Morgen von Stadtknechten umstellt.
Da der Kaufmann vermögend ist, erscheint es dem Hohen Rat ungewöhnlich, dass
Maria Blattgerste verschwunden ist.«
»Sicher hat sie
Angst bekommen und ist vor den Bütteln geflohen«, lenkte Maria ein.
»Nein, Maria. Wir
denken eher, dass sie etwas Böses im Schilde führt.«
Margaretha
unterbrach Ilsabein: »Wir haben Angst um dich, Schwester. Hermann Blattgerste
war für die nächste Ratswahl als Siegler aufgestellt, seine Familie ist seit
Jahren in Lemgo ansässig, sie zählt nicht zu den Armen und wird nichts
unversucht lassen, seinen Tod aufzuklären.«
»Er war ein alter
Mann und litt schon längere Zeit an Blutarmut, Fettleibigkeit und zuletzt auch
noch an ›Branns Rache‹. Das viele Schröpfen und Zur-Ader-Lassen hat ihn
geschwächt.« Hermann schüttelte den Kopf. »Sie werden Maria nicht in diese
Sache hineinziehen.«
»Aber das haben sie
schon. Man erzählt sich, dass Cothmann angesichts der seltsamen Farbe des
Erbrochenen gestutzt und gesagt haben soll: ›Da hat die Rampendahlsche Hexe
sicher wieder ihre Finger im Spiel!‹ Über die Blattgerste hat er dagegen kein
Wort verloren.«
»Ist ja auch kein
Wunder. Wenn er seine Hure mit hineinzieht, würde sie sich revanchieren. Der
Schelm hat genug zu verbergen.« Hermann grinste.
»Wäre es nicht
sicherer, ihr würdet die Kinder nehmen und eine Zeit lang nach Varel zu den
Verwandten reisen? Keiner in der Stadt spricht mehr von der Blattgerste, sie
scheint noch vor ihrer Flucht dafür gesorgt zu haben, dass alle nur über dich
reden, Maria.« Margaretha umschloss besorgt Marias Hände.
Die öffnete den
Mund, um zu antworten, doch Hermann kam ihr zuvor. »Wir werden nicht von hier
verschwinden. Maria ist ohne Schuld, und der Schutz der Familie ist ihr gewiss.
Cordt, der sicher im Rat sitzt, wird das Schlimmste zu verhindern wissen.
Sollte der Richter dich dennoch denunzieren«, sanft küsste er ihr Ohrläppchen
und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht, »dann schwöre ich
dir, Maria, wird er sich an uns die Zähne ausbeißen. Wenn es sein muss, werde
ich dich mit meinem Leben verteidigen, meine Liebste.«
»Lasst mich zu
ihm! Ich will zu dem Hurensohn Cothmann!«
Überrascht ließ
Cothmann die Akte fallen, die er gerade geöffnet hatte, und warf Krieger einen
verständnislosen Blick zu. Vor der Tür des Rathaussaales ertönte heftiger Lärm.
Eine Frauenstimme kreischte und schrie: »Ihr Mistkerle, lasst mich los!« Dann
polterte etwas krachend gegen die Tür, dass diese erzitterte. Hastig wollte er
zu der großen Messingglocke auf dem Schreibtisch greifen, als die Tür
aufgerissen wurde und zwei Stadtknechte ein wild um sich schlagendes
Lumpenbündel in den Saal stießen.
»Gott vergebe uns,
Euer Hochwohlgeboren. Aber die Megäre hier verlangt nach Euch und lässt sich
nicht abweisen«, sagte einer der Knechte und verneigte sich untertänig.
»Schon gut, Hans.«
Cothmann winkte gnädig mit dem Handschuh und trat neugierig hinter dem
Schreibtisch hervor. Er schritt seltsam ungelenk wie eine Marionette, trug kein
Barett mehr, dafür aber eine auffällig dichte, lang wallende Perücke. Sein
Gesicht war bis unter die Augenlider seltsam aufgeschwemmt. Er wirkte krank. Die
Schminke verbarg die roten Flecken in seinem Gesicht längst nicht mehr, und
unter den Augen hatten sich tiefe dunkle Ringe eingegraben. Vorsichtig berührte
er das Lumpenbündel mit der Schuhspitze. Als hätte das Weib nur darauf
gewartet, sprang es auf.
Cothmann trat
erschrocken und zugleich angewidert einige Schritte zurück. »Maria
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