Der Henker von Lemgo
Blattgerste …?«, entfuhr es ihm überrascht, während er sich hastig mit dem Taschentuch vor
der Nase herumwedelte, um die strengen Düfte, die dem Lumpenbündel entwichen,
zu verscheuchen. »Was treibt Euch hierher, Weib?«, fragte er durch das Tuch.
»Seit Monden suchen wir nach Euch, Ihr ward wie vom Erdboden verschluckt.«
»Du willst mich wohl
nicht mehr kennen, mein Liebster, was?«, grinste sie und bleckte ihr schwarzes,
lückenhaftes Gebiss. Hunger und Kälte hatten ihren Körper ausgezehrt und sie
lange vor der Zeit in ein altes Weib verwandelt. Ihre grünen Augen glänzten
übergroß wie im Fieber, und ihre Nase ragte noch spitzer als früher aus dem
abgezehrten Gesicht. Das Haar hing in schmutzigen Zotteln an ihrem Körper
hinunter, an dem sie etwas krampfhaft unter den Lumpen zu verbergen suchte.
»Nein, Weib, so
kenne ich Euch nicht. Aber gut, dass Ihr Euch endlich selbst Eurem Verbrechen
stellt. Es ist vor Gott erwiesen und vom Hohen Rat bestätigt worden, dass Ihr
Euren Ehemann vergiftet habt.«
Aus dem Lumpenbündel
erklang ein schauerliches Lachen. »Das wirfst gerade du mir vor? Sieh her, du
Hurensohn, das hier ist dein Bastard!«
Sie schleuderte
Cothmann ein blutiges Bündel vor die bestickten Hackenschuhe. Vor Entsetzen
machte er einen Sprung in Kriegers Richtung. »Was will diese Hexe von uns?«,
fragte er Krieger, der den Degen gezogen hatte und nun mit ängstlichen
Bewegungen in den blutigen Lumpen herumstocherte.
»Sieh es dir nur an,
du Mistkerl! Es ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten.« Sie beobachtete
Cothmann lauernd.
Krieger hatte indes
den Inhalt freigelegt. Auf dem Parkett des Rathaussaales lag vor ihnen,
inmitten der blutigen Lumpen, ein nackter Säugling. Auch er war blutverschmiert,
um seinen Hals schlang sich die Nabelschnur. Vorsichtig beugte sich Krieger zu
ihm hinab und berührte ihn mit dem Finger. Als das Kind keinen Laut von sich
gab, zog er den Handschuh aus und legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie war
eiskalt.
»Das Kind ist tot«,
sagte er leise zu Cothmann. »Bestimmt schon mehrere Tage. Es hat Flecken,
stinkt und ist bereits steif.«
»Es ist tot geboren
worden«, schnarrte die Blattgerste. »Weil der da mich wie einen Hund von sich
gestoßen hat. Erst ein Balg mit mir zeugen und mir Liebe versprechen, der hohe
Herr, und dann …!«
»Jetzt ist es genug!
Zähme deine Zunge, Weib!«, donnerte Cothmann. Er hatte sich wieder erholt und
humpelte zum Schreibtischstuhl. »Schafft das Weib in den Hexenturm, und vor
allem: Räumt mir diese tote Satansbrut aus den Augen«, herrschte er die Knechte
an. Es war unter seiner Würde, sich der Furie auch nur einen Augenblick länger
zu widmen.
Doch so schnell gab
Maria Blattgerste nicht auf. Flink wie ein Wiesel entschlüpfte sie den Händen
der Knechte, beugte sich über den Schreibtisch und blickte dem Bürgermeister
geradewegs in die Augen. Unter seiner Schminke schimmerte Leichenblässe.
»Ist es etwa immer
noch die Narbe der Hexe, die dir zu schaffen macht? Sie hat dir ja damals fast
den Schädel gespalten und das Fieber angehext – und doch liebst du sie noch
immer. Aber sie wird dich überleben, denn der Tod steht dir bereits ins Gesicht
geschrieben.«
Böse kichernd wälzte
sie sich vom Schreibtisch. Die Knechte versuchten, sich auf sie zu werfen, doch
wieder war sie schneller und umrundete Krieger, der sich bisher zurückgehalten
hatte. »Und ja, ich bin eine Hexe! Ich kann dir ›Branns Rache‹ anhexen, oder
darf es vielleicht doch eher die Lustseuche oder die Pestilenz sein?« Wie
besessen kreischte sie: »Nein, ich verhänge gleich einen Fluch über all Eure
Weiber und Kinder!« Plötzlich drehte und bog sie den Oberkörper immer heftiger
und würgte weißen Schaum hervor. Die Knechte waren ratlos und warteten
unschlüssig auf die Anweisung des Bürgermeisters. In ihren Augen stand deutlich
die Angst vor der Hexe geschrieben.
»Das Weib ist ja
völlig irre! Schafft sie endlich raus«, befahl Cothmann erneut.
Da richtete sich die
Blattgerste auf und wischte sich mit dem Ärmel den Schaum von den Lippen. Mit
einem Mal wirkte sie wieder normal. »Ich bezichtige mich freiwillig vor Euch,
Ihr Herren, und diesem Gericht als Hexe, damit Ihr mich brennt. Ich bin des
Lebens überdrüssig, aber ich schwöre bei Gott, unserem Herrn: Meinen Ehemann
habe ich nicht vergiftet.«
Ihr Blick wurde
lauernd, als sie bemerkte, wie Cothmann aufhorchte und den Knechten das Zeichen
zum Abwarten gab.
»Wer war es
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