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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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ganze Haus. Margaretha sammelte sie rasch ein und band sie auf eine Schnur.
»Hier, Maria, nimm sie den Kindern mit. Ihr werdet sie brauchen.«
    Keuchend erschien
Catharina hinter Maria. Sie hatte an Leibesfülle zugelegt und drängte ihre
Tochter zur Seite. Ihre Brüste hingen schwer und fleischig bis zum Bauchansatz,
wo sie in die Ringe übergingen, die selbst die gerafften Röcke und das
Fischbeinkorsett nicht mehr zu verdecken vermochten. Auch unter dem nicht mehr
festen Kinn wölbten sich die Fettpölsterchen wie kleine Würste, Zeugen des
unaufhaltsamen Alters und eines wachsenden Wohlstandes. Lediglich der lebendige
Ausdruck in den warmen braunen Augen verriet die starke Seele in ihr und ließ
ihre einstige Schönheit erahnen. Sie kämpfte mit den Tränen und wischte sich
immer wieder mit dem Handrücken über die fleischige Nase.
    »Ich habe die
Knechte zusammengetrommelt. Notfalls werden sie das Haus mit ihrem Leben
verteidigen, bis Cordt zurück ist. Am besten nimmt Ilsabein den Weg zu
Bentzelers Haus. Margaretha und ich werden den Bütteln öffnen, sonst schlagen
sie uns noch das Tor ein. Aber keine Angst, meine Mädchen, wir werden sie
aufhalten. Dies ist das Haus eines Ratsmannes, und das stürmt man nicht so ohne
Weiteres!« Sie küsste erst Maria, dann Margaretha auf die Stirn und schlug über
ihnen das Kreuz. »Gott sei mit euch, meine Kinder!« Hastig nahm sie Margaretha
bei der Hand und zog sie hinter sich her die Stufen hinab.
    Ilsabein umarmte
Maria. Sie sah ihr täuschend ähnlich. Aus dem einst schmächtigen, blassen
Mädchen war eine schöne junge Frau geworden. Zwar war sie etwas kleiner als
Maria und hatte einen weniger üppigen Busen, doch umrahmten die gleichen
dichten rotblonden Flechten das fein geschnittene Gesicht und umschmeichelten
sanft ihre geschmeidige Figur. »Wir sehen uns wieder, Schwesterherz«, flüsterte
sie mit Tränen in den Augen. »Wir Rampendahls sind stark, das hat uns der Vater
mitgegeben.«
    Zitternd quetschte
Maria sich an der Schwester vorbei und spähte über das Geländer. Den besetzten
Toreingang konnte sie nicht einsehen, doch vier der acht Knechte warteten mit
Mistgabeln bewaffnet unter ihr in der Diele, während sie Catharina rufen hörte:
»Was erdreistet Ihr Euch, Bürgermeister, am Sonntag einen solchen Lärm zu
veranstalten! Ihr steht hier vor dem Hause des ehrenwerten Ratsherrn Cordt
Rampendahl. Ich rate Euch wiederzukommen, wenn der Hausherr zu Hause ist.«
    »Ihr reißt den Mund
zu weit auf, Weib! Hier, lest selbst, wenn Ihr des Schreibens und Lesens
mächtig seid!« Papier raschelte, dann war es einen Moment so still, dass eine
zu Boden fallende Bohne die Hühner aufgeschreckt hätte.
    »Euer Schreiben sagt
mir gar nichts! Da ich seinen Namen hier nicht finden kann, hat mein Ehemann
seine Zustimmung zur Gefangennahme seiner Tochter nicht gegeben. Also trollt
Euch und kommt ein andermal wieder! Außerdem ist meine Tochter nicht im Haus
ihres Vaters anzutreffen. Wie Euch bekannt sein sollte, lebt sie am Markt im
Hause ihres Ehemanns, des Barbiers Hermann Hermessen.«
    Die letzten Worte
hatte sie voller Ironie ausgesprochen, doch Cothmann zeigte sich unbeeindruckt.
Er zog es vor, sich nicht aufzuregen, um seine schon starken Kopfschmerzen
nicht noch weiter zu intensivieren. Gequält behielt er den gleichgültigen
Ausdruck bei und massierte sich in einem unbeobachteten Augenblick mit den
Fingerspitzen die Schläfen.
    Zu gut kannte er
diese Schmerzen! Seit Jahren fraß sich sein Hass auf die Hexe mit bohrendem
Ziehen und Stechen durch sein Hirn. Dazu litt er an Schlaflosigkeit und
quälendem Fieber. Doch so hartnäckig ihn die Schmerzen auch marterten, so
aufrecht hielt ihn die Vorstellung, endlich Ruhe zu finden, wenn das Hexenweib
auf dem Scheiterhaufen brennen würde. Bei dem Gedanken vergaß er für einen
Moment die tiefen Augenringe unter seinen Augen, ein untrügliches Zeichen
fehlenden Schlafes. Wenn er bisweilen daran dachte, dass selbst der Teufel sich
vor seinem Anblick erschrecken würde, huschte ihm ein Grinsen über das Gesicht.
    Catharina hingegen
schien er nicht im Geringsten zu beeindrucken. Mutig blieb sie vor ihm in der
Tür stehen, stemmte sich die Fäuste in die ausladenden Hüften und blickte ihm
kampfeslustig ins Gesicht.
    Für diese Frechheit
gab es nur eine Bestrafung: Nichtbeachtung. Müde zuckte er mit den Schultern,
ließ sie einfach stehen und schritt steif zur Kutsche zurück. Der Kammerdiener
Simon Müller hatte ihn bereits

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