Der Henker von Lemgo
vertrauen, Deche.« Mit einem
kräftigen Handschlag besiegelte er sein Versprechen.
In diesem Moment
trat der Richter an das Handpferd heran und ergriff die Zügel. »Ihr seid nicht
berechtigt, chirurgische Eingriffe auszuführen, Henker. Die Aufgabe wurde Euch
abgesprochen«, schnarrte er. »In meinem Amt als Richter muss ich Euch daran
hindern!«
»Das werdet Ihr
schön bleiben lassen.« Noch ehe David reagierte, erhielt er Hilfe von Hermann,
der blitzschnell aus der Kutsche gesprungen war. Rasch gestikulierte er David
abzufahren, dann griff er nach dem Richter. Zum zweiten Mal wurde der
richterliche Spitzenkragen aus dem Rock gerissen, und die seidenumsponnenen
runden Knöpfe flogen umher wie Bleikugeln, während der Richter unter Hermanns
Würgegriff hilflos wie eine Schabe zappelte. Sein Gesicht verfärbte sich
blaurot, und die Worte blieben ihm im Halse stecken. Verzweifelt rang er nach
Luft.
Hermanns Eingreifen
verwirrte die Männer und teilte sie in zwei Lager: Wütend standen sich
plötzlich die Ratsherren auf der einen und die Dechen mit finsteren Gesichtern
und gezückten Degen auf der anderen Seite gegenüber. Die Luft knisterte. Es
roch nach Blut.
Lediglich David
scherte sich nicht um den Tumult. Er hob die Zügel und rief Margaretha vom
Kutschbock aus zu: »Haltet die Jungfer gut fest, Weib, es geht los!« Aufrecht
stehend, mit den Zügeln in beiden Händen, trieb er die Pferde an. »Folge mit
meinem Pferd der Kutsche, Henrich!«, wies er seinen Knecht an.
Die Atmosphäre lud
sich immer stärker auf, die Männer standen sich mit blitzenden Augen gegenüber.
Schreie ertönten, als sich die Pferde aufbäumten und anzogen.
»Weg mit den
Cothmannen!«
In diesem Augenblick
spürte Cordt die Hand eines Fremden auf seiner Schulter. »Lasst Euch ja auf
keinen Streit ein, Deche! Euer Weg sollte jetzt zu Eurer Tochter führen. Wenn
Ihr es erlaubt, bringe ich Euch zum Rathaus. Mein Kutscher erwartet Euch
bereits!«
Erstaunt blinzelte
Cordt den Mann in der dunklen Advokatenkleidung an.
»Ich möchte Euch
meine Hilfe in Rechtsfragen anbieten und Euren Schwiegersohn Hermann als
Ehevogt seines Eheweibes vertreten. Mein Name ist Johann Adam Roleman, ich bin
Advokat, Prokurator und Rechtsgelehrter aus Speyer.« Er deutete eine Verbeugung
an und lüftete dabei kurz das breite, mit weißen Pfauenfedern geschmückte
Barett.
Cordt glaubte,
seinen Augen nicht zu trauen. »Heinrich Kleinsorge?« Mit einem Freudenschrei
ergriff er die Schultern des Freundes und drückte ihn an seine Brust.
»Vorsichtig«, mahnte
der Rechtsgelehrte leise, »wir werden beobachtet. Und selbst, wenn Ihr mich
erkannt haben solltet, werde ich für Euch doch stets Adam Roleman sein.«
Schnell hatte er wieder das Barett ins Gesicht gezogen, entfernte sich leicht
gebückt und gebot Cordt und Hermann, ihm zu folgen.
Im Inneren seiner
mit dunklem Tuch und Leder gepolsterten Kutsche nahm Heinrich Kleinsorge die
Kopfbedeckung ab. Cordt saß steif an seiner Seite und sah ihm verwundert zu. Er
hatte sich von der Überraschung noch immer nicht ganz erholt. Zum wiederholten
Male schüttelte er fassungslos die von Silberfäden durchzogene rote Mähne: »Wie
Ihr Euch verändert habt, Heinrich Kleinsorge! Aber wie kommt Ihr zu dem Wappen
der Rolemans?« Für einen kurzen Moment vergaß er sein eigenes Unglück und
klärte Hermann auf. »Der hohe Herr hier ist der Sohn unseres einstigen
Bürgermeisters Balthasar Kleinsorge, Gott hab ihn selig. Unter ihm herrschte
noch Gerechtigkeit.«
Der Advokat maß
Hermann mit scharfem Auge. Ihm gefiel Cordts Geschwätzigkeit nicht. »Ich hoffe,
er ist vertrauenswürdig?«, warf er misstrauisch ein.
Cordt nickte heftig.
»Meinem Schwiegersohn könnt Ihr vertrauen. Er würde sich eher ein Bein
abhacken, als Verrat zu begehen.«
Bevor der Anwalt
sich mit Cordts Antwort zufriedengab, musterte er Hermann mit einem letzten
kritischen Blick. Dann nickte er: »Es stimmt, was der ehrenwerte Ratsmann
Rampendahl da sagt. Doch noch soll niemand erfahren, wer sich hinter dem Namen
Roleman verbirgt, den ich mir für meine Mission sozusagen geliehen habe.
Immerhin steht der Name Kleinsorge ganz oben auf der schwarzen Liste unseres
Bürgermeisters. Auch mein Bruder Diedrich hält sich schon längere Zeit unter
einem fremden Namen in Lemgo auf. Wir sind zurückgekommen, um die Ehre des
väterlichen Namens wiederherzustellen. Ich habe viele Jahre in Berlin Recht
studiert und bekleide dort inzwischen das Amt eines Geheimen
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