Der Henker von Lemgo
Gebote Gottes zu achten. Sie ist ungewöhnlich temperamentvoll,
aber für ihre Ehre lege ich meine rechte Hand ins Feuer.«
Mit unschuldiger
Miene saß der Deche Hermann gegenüber. Während er an seine Tochter zu glauben
schien, nagten Eifersucht und Misstrauen an Hermanns Seele. Er schaffte es
nicht, dem Blick des Schwiegervaters standzuhalten, und wich ihm verlegen aus.
»Ich vertraue auf
die Liebe meines Eheweibes. Und ich liebe Maria«, murmelte er leise.
»Dass Ihr, meine
Herren, in jeder Weise von der Tugend Marias überzeugt seid, glaube ich Euch
gern. Mir geht es jedoch darum, das Gerücht von vornherein zu entkräften. Doch
sollte wider Erwarten Gott nicht mit uns sein, so habe ich noch einen letzten
Trumpf im Ärmel, der dem Richter schließlich das Genick brechen wird!«
Neugierig geworden
horchten Cordt und Hermann auf. Sie hatten sich weit nach vorn gebeugt und
hörten dem Advokaten aufmerksam zu.
»Ein rechtliches
Vergehen des Hurensohnes?«, fragte Cordt lauernd.
Kleinsorge bemerkte
seine Ungeduld und grinste geheimnisvoll. »Nein, kein rechtliches Vergehen.« Er
hielt inne, um die Spannung zu erhöhen. »Es ist … ein leibliches Vergehen … Ein
Bastard!«
»Ein Bastard?« Cordt
verschluckte sich vor Überraschung und dachte zunächst an ein Missverständnis.
»Genauer
ausgedrückt: ein Säugling. Der gemeinsame Sohn des Bürgermeisters und der Hure
Maria Blattgerste. Einer meiner spionierenden Bediensteten hat das tote Kind
hinter dem Rathaus im Abfall gefunden.«
»Das ist das Zeichen
Gottes, dass er uns erhört hat!«, frohlockte Hermann. »Seid Ihr Euch sicher,
dass es auch wirklich das Kind des Bürgermeisters ist?«
»Ich weiß es aus
sicherer Quelle!«
»Doch warum, hoher
Herr, zieht Ihr damit dann nicht gleich vor den Rat und legt dem Tyrannen
sofort das Handwerk?«
Quietschend und
polternd hatte die Kutsche das Steinportal des Rathauses passiert. Cordt erhob
sich, als die Pferde im Schritt auf das reich verzierte Tor zusteuerten.
»Das geht leider
nicht so rasch, wie Ihr denkt, Deche. Eurer Tochter würde das im jetzigen
Moment nur zum Schaden gereichen, auch wenn es alles in ein anderes Licht
rückt. Es braucht Zeit, diesen Schritt sorgsam vorzubereiten. Aber spätestens
bei der Verlesung des Urteils auf dem Marktplatz werde ich das Geheimnis lüften
und den Richter öffentlich denunzieren. Das ist meine Rache! Bis dahin hoffe
ich, auf Euer Stillschweigen zählen zu können, meine Herren. Denn ein toter
Advokat würde Eurer Tochter, Deche, und Eurem Eheweib, Hermann Hermessen, kaum
von Nutzen sein.«
»Die Herren
beider Räte haben sich dahin geeinigt, es nicht länger auf ihr Gewissen zu
nehmen, Maria Rampendahl zu übersehen, weshalb wir sie nach Gewohnheit und
Brauch dieses Ortes aufs Rathaus forderten, da wir mit derselben zu reden
haben!«
Gelassen nahm Maria
die Worte des Stadtsekretärs hin und hielt den Kopf züchtig über die gefalteten
Hände gesenkt. Seine Worte im geschnarrten Amtsdeutsch verklangen gerade in der
Ratsstube, als sie zum ersten Mal die Lider hob. Sie fror in ihrem leichten
Kleid und fühlte sich zwischen den kalten Steinwänden und den hohen,
ehrwürdigen Archivschränken zunehmend verunsichert. Die riesigen, stummen
Zeitzeugen im Hintergrund strahlten Düsterheit und Unvergänglichkeit aus und
erinnerten sie an das Leid derer, die einst in den Mauern auf ein gerechtes
Urteil gehofft hatten.
Hilflos suchte sie
in den Gesichtern der Stadtknechte, die mit Pistolen und Flinten bewaffnet vor
der Tür Wache hielten, nach Wärme oder Verständnis, doch sie folgten nur stumm
und ausdruckslos dem Geschehen. Ganz anders die sechs Augenpaare unter den breitkrempigen
Hüten und den weiß gepuderten Perücken, die von der mächtigen Kanzel aus
lauernd auf sie gerichtet waren. Selbst die in Stein gehauene Justitia – mit
dem Schwert in der einen und der Waage in der anderen Hand – beobachtete genau,
wie sie sich verhielt. Da das Weib aus Stein hier keine Augenbinde trug,
entging ihrem scharfen Blick nicht die geringste Regung.
»Hermann
Blattgerstes Eheweib hat vor etwa vierzehn Tagen freiwillig bekannt, dass sie
sich zum Zaubereilaster durch des Barbiers Hermann Hermessens Ehefrau habe
verleiten lassen, ihrem Bruder Johann Vieregge und ihrem geliebten Ehemanne
Blattgerste Gift gegeben zu haben, sodass sie daraufhin gestorben seien. Danach
hätte die Maria Rampendahl das Werk vollendet und dieselbe in die Zunft gebracht.
Die Blattgerste hat ihr Bekenntnis
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