Der Henker von Lemgo
vor die volle
Unterstützung des Landesherrn, obwohl Ihr, wie ich einräumen muss, nicht von
Hause aus über das hohe Ansehen verfügtet, zu dem Ihr es in all den Jahren
gebracht habt. Ich glaube eher, das Fieber nimmt Euch Eure Stärke und Euren
Machtwillen und flößt Euch Ängste vor einem eventuellen Scheitern ein, vor
einem gesellschaftlichen Absturz wie demjenigen Eurer Eltern.«
»Ihr habt recht.
Doch Euch, mein Freund, kann ich meine Ängste anvertrauen.« Er stöhnte leicht
und ließ sich von Krieger den Flakon reichen. Umständlich spritzte er sich
etwas Flüssigkeit in den Halsausschnitt. »So wie die prächtige Fassade meines
Hauses sind meine gesicherte stadtbürgerliche Existenz und mein gestrenges
Regiment oft nur vorgetäuscht, um meine Ängste, wie Ihr richtig erkannt habt,
vor den Leuten zu verbergen. Ich bin heute reicher, als es meine Familie jemals
zuvor war, und es stört mich nicht im Geringsten, wenn die Leute uns nachreden,
geldgierig zu sein, uns bestechen zu lassen und nach den Gütern anderer Leute
zu trachten. Groß sind dagegen unsere Erfolge wie etwa die Niederschlagung der
Tumulte zur Ratswahl mit den Dechen, als unser hochwohlgeborener Graf Simon
sogar Schützen aufbieten musste, um Ordnung und Ruhe wiederherzustellen, oder
die vom Grafen beglaubigte Ehrenerklärung um meine Verdienste für die Stadt.
Trotzdem bin ich ein einsamer Mann, und Gott wird mich einsam sterben lassen.«
Hilflos stand
Krieger dem Bürgermeister gegenüber. Cothmann war auf dem Stuhl in sich
zusammengesunken. Über die hohlen Wangen des mächtigen Mannes liefen große
Tränen. In all den gemeinsamen Führungsjahren hatte Krieger an Cothmann immer
seine Standfestigkeit und seinen eisernen Willen bewundert, noch nie hatte den
Bürgermeister etwas erschüttern können. An seiner Seite waren, so wie Krieger
selbst, in den letzten Jahren zahlreiche Ratsmänner reich und mächtig geworden,
doch nun erging der Freund sich zum ersten Mal in Selbstmitleid. Der Mann, der
hier vor Krieger saß, war nicht mehr der mächtige Bürgermeister, vor dem einst
eine ganze Stadt gezittert hatte. Wenn er nicht etwas unternahm, befürchtete
Krieger noch vor Beendigung des Hexenprozesses seinen körperlichen und
seelischen Zusammenbruch.
Vorsichtig berührte
er Cothmann an der Schulter. »Bedenkt, wie viel Ordnung Ihr mit Hilfe der
Hexenverbrennungen in der Stadt geschaffen habt. Es gibt kaum noch Unruhen und
Aufstände in Lemgo. Man wird Euch deswegen nicht nur hassen, sondern auch
lieben. Oder nehmt die Münstersche Invasion. Für Euren beispiellosen Mut bei
der Verteidigung Lemgos sprach Euch der Rat die Freiheit für alle bürgerlichen
Abgaben zu. Bedenkt auch Eure Verdienste um den Leinenhandel. Schon zu
Lebzeiten seid Ihr ein berühmter Mann«, versuchte er ihn aufzuheitern.
»Doch was, mein
Freund, nützen mir all diese Verdienste, wenn der Tod an meine Tür klopft?
Nichts von alldem hat dann noch einen Wert.«
Schwerfällig erhob
er sich und zog einen kleinen Handspiegel aus dem Rock. Mit Kriegers Tuch
wischte er sich die Tränenspuren vom Gesicht, dann öffnete er eine kleine
silberne Dose, entnahm ihr mit einem kleinen Schwamm etwas von dem weißen Puder
und betupfte gleichmäßig die Wangenknochen und die Ränder unter den Augen.
»Die Hexe Rampendahl
wird mein letzter Prozess sein. Danach, das schwöre ich vor Gott, meinem Herrn,
wird es in Lemgo keinen Prozess mehr geben.« Wohlwollend betrachtete er sich in
dem kleinen, in filigranem Silber gefassten Spiegel und wiegte die Dose dann
einen Augenblick lang nachdenklich in der Hand. Sein Körper straffte sich.
»Ihr habt die
Rampendahl geliebt, mein Freund?« Erfreut registrierte Krieger die Besserung
seiner Verfassung.
»Ich liebe das Weib
noch immer!« Cothmann klappte die Dose zu und reichte sie Krieger. »Ein Import
vom Hofe des französischen Königs. Probiert es, es wird Eurem Teint mehr
Ebenmaß verleihen.«
Krieger wehrte ab.
»Ihr wisst doch, dass ich mich nicht schminke.«
Cothmann ignorierte
seinen Einwurf. »Ja, leider begehre ich die Hexe noch immer mit der gleichen
Leidenschaft wie am ersten Tag unserer Begegnung. Sie hat mich betört, und ich
bekomme sie nicht mehr aus meinem Fleisch, geschweige denn aus meinen Gedanken
heraus. Nicht einmal Hass verspüre ich mehr gegen sie. Ich möchte sie nur ein
einziges Mal besitzen. Ein einziges Mal ihren herrlichen Körper berühren!«
Schwärmerisch richtete er die Augen auf den Freund. Der Gedanke an Maria
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