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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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ihm
etwas Wichtiges eingefallen. Es war der unbekannte Rechtsgelehrte, der
letztendlich seine Neugierde weckte. Er wandte ihm das Gesicht zu und verneigte
sich, Überraschung heuchelnd, vor ihm. Dabei musterte er den Advokaten aus den
Augenschlitzen heraus und überlegte, wo er ihm schon einmal begegnet sein
könnte. Da er sich nicht schlüssig war, was er von dem fremden Rechtsgelehrten
halten sollte und welchen Standes er war, schmeichelte er ihm höflich:
»Entschuldigt meine Eile, hoher Herr! Euch sei der Zugang natürlich nicht
verwehrt. Ich vermute den Ehevogt der Hermessens?«
    »Ich bin Johann Adam
Roleman, Anwalt im Dienste des Reichskammergerichtes, hoher Richter. In dieser
Eigenschaft vertrete ich den Barbier Hermann Hermessen im Fall des
Zaubereiverdachtes der Stadt Lemgo kontra seine Ehefrau Maria Rampendahl als
sein rechtlicher Ehevogt.«
    »Dann, hoher Herr,
sehen wir uns nach der Gegenüberstellung der Rampendahl mit der Witwe
Blattgersten wieder.« Er versuchte, seiner Stimme einen vertraulichen Klang zu
geben. Abermals überkam ihn das Gefühl, diesem Mann schon irgendwann einmal
begegnet zu sein. »Wie war gleich Euer Name?«
    »Johann Adam
Roleman, hoher Herr.«
    »Seltsam.«
Nachdenklich forschte er in dem Gesicht des schlanken, schwarz gekleideten
Mannes und versuchte sich dessen Züge einzuprägen. Gleichzeitig kramte er in
seiner Erinnerung. »Mir deucht, wir kennen uns. Weilt Ihr schon länger in
Lemgo?«
    »Nein, Euer Ehren.
Ich bin soeben hier eingetroffen und noch auf der Suche nach einem geeigneten
Quartier«, log Kleinsorge und belauerte seinerseits den Richter.
    »Ihr habt Glück. Für
einen Kollegen steht mein Haus jederzeit offen. Wie ist es, möchtet Ihr nicht
bei mir in meiner bescheidenen Hausstätte Quartier beziehen?« Beim Anblick der
verschmutzten Reisekleidung des Advokaten verzog er das Gesicht und grinste
süßlich. Ohne die Antwort abzuwarten, lenkte er lauernd ein: »Kenne ich dann
vielleicht Euren Herrn Vater, Herr Magistrat?«
    Kleinsorge spürte
genau, worauf die Frage des Bürgermeisters zielte, und täuschte lächelnd
Ahnungslosigkeit vor. Innerlich tobte ein furchtbarer Kampf in ihm. Am liebsten
hätte er den Gegner vor die Klinge gefordert, um sich auf schnelle Weise für
die erlittene Schmach an seinem Vater, dem Bürgermeister Balthasar Kleinsorge,
zu rächen. Nur mühsam beherrschte er sich, als er Cothmann untertänig und mit
gespielter Freundlichkeit antwortete. »Mein Vater war Doktor Johannes Roleman,
ebenfalls Prokurator beim Reichskammergericht. Aber ich sehe, Ihr befindet Euch
in großer Eile«, fügte er rasch hinzu. »Gern nehme ich Euer Angebot an. Bei
einer Flasche Wein in Eurem prachtvollen Haus lässt es sich später sicher
besser plaudern.«
    Einen kurzen Moment
lang schätzten sich die Männer ab, dann lüftete Cothmann seinen mit Diamanten
besetzten Dreispitz. »Ich freue mich auf Eure Gesellschaft, Advokat.«
    Vor dem Portal
des prunkvollen Ratssitzes legten sich die vier Rappen des Bürgermeisters ins
Geschirr. Der Kutscher löste die Bremse, und die riesigen Holzräder setzten
sich ächzend in Bewegung. Die drei Männer sahen der Kutsche hinterher, bis sie
polternd in die Gasse zum Hexenturm einfuhr. Jeder hing seinen Gedanken nach,
dann ging Cordt zwei Pferde besorgen, während der Advokat seinen Kutscher
heranwinkte.
    »Was wollt Ihr jetzt
tun, Hermann Hermessen?«, fragte Kleinsorge den Barbier, der unschlüssig neben
ihm stand, als die schwarze Kutsche auf sie zurollte. Regenwasser hatte sich in
den schmutzigen Vertiefungen gesammelt und spritzte links und rechts unter den
Eisenbeschlägen hervor. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, und an dem
wolkenverhangenen Himmel zeigten sich vereinzelt die Sonnenstrahlen. Wohltuend
strichen sie über die Gesichter der Männer und drangen bis in ihre Seelen vor,
um sie zu wärmen.
    »Ich werde der
Kutsche des Bürgermeisters folgen und meiner Frau in ihrer Not beistehen. Meine
Anwesenheit soll ihr Kraft geben, die Angelegenheit zu überstehen. Sie soll
nicht allein sein und wissen, dass ich sie liebe – bis über den Tod hinaus.«
    »Glaubt Ihr nicht,
dass dieser Entschluss etwas voreilig gefasst ist? Vielleicht stellt sich die
Gegenüberstellung als harmlos heraus, sodass man Eure Frau freilassen muss.
Vielleicht aber lässt man Euch auch gar nicht zu ihr vor. Die Entscheidung
liegt allein beim Richter oder beim Henker.« Bei der Nennung des Letzteren sah
er Hermann nachdenklich ins Gesicht.

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