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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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befeuchten. »Es
bleibt uns noch eine letzte Möglichkeit. Ihr, Hermann, nehmt das schnellste
Pferd, das Ihr im Stall habt, und überbringt einem Freund von mir in der Alma
Ernestina in Rinteln eine Depesche, die ich bereits geschrieben habe. Nutzt die
Nacht dazu und reitet ohne Pause. Da Ihr Euch schon einmal als guter Reiter
bewiesen habt, könntet Ihr es schaffen, vor dem Morgengrauen wieder hier
einzutreffen, um Marias Hinrichtung aufzuhalten.«
    Seine letzten Worte
waren noch nicht ganz verklungen, da sprang Hermann schon vom Stuhl auf und
streckte dem Advokaten beide Hände entgegen. »Übergebt mir den Brief, Magister,
und ich werde mein Pferd nicht schonen.«
    Auch Anton und Cordt
hatten sich erhoben. »Wir begleiten dich, Hermann«, sagte der Deche und legte
seine schwere Pranke auf Hermanns Schulter.
    »Mitnichten,
Schwiegervater. Ihr haltet hier die Stellung und kümmert Euch um Catharina. Im
Moment erweist Ihr Maria einen größeren Dienst, wenn Ihr in ihrer Nähe bleibt.
Anton jedoch, mein Bruder und Freund, wird mich begleiten.« Zur Bekräftigung
warf er Anton den Degen zu, der ihn mit einer Hand auffing und zum
Einverständnis grinste.
    Während der Advokat
das Schreiben unterzeichnete und in den Siegellack das Wappen der Hermessens
drückte, rief Hermann nach dem Knecht, der wenige Minuten später mit zwei
schlanken, hochbeinigen und gesattelten Rappen in der Diele stand. Rasch holte
Margaretha zwei mit Bier und Pasteten gefüllte Satteltaschen aus der Küche,
während Cordt Hermann seinen weiten ärmellosen Umhang aus Biber- und Fuchsfell
über den Rock warf.
    »Um dich vor der
Kälte zu schützen, mein Sohn. Kehrt beide wohlbehalten zurück und bringt uns
eine erfreuliche Nachricht.«
    Stumm gaben sich die
drei Männer die Hand, dann küsste Anton Margaretha auf den Mund. Nur mit Mühe
hielt sie die Tränen zurück. Sie liebte ihren Mann mehr als ihr Leben – und
noch stärker, da der Herrgott ihnen bisher das größte Glück versagt hatte: Kinder.
Mit der Furcht vor der Einsamkeit war ihre Verbundenheit zu Hermann und Maria
mit den Jahren immer inniger geworden. Zum Dank für ihre Freundschaft stand sie
bei Marias Kindern Pate und hatte der Jüngsten, Agnes, bereits zu Lebzeiten
einen Teil ihrer reichen Mitgift vererbt. Schweren Herzens sah sie nun den
beiden Männern hinterher, als sie im Galopp durch das Tor stoben. Noch immer
fielen dicke Schneeflocken vom Himmel. Als ihre Spuren sich im Pulverschnee
verloren, schloss Margaretha das Tor.
    An einem Samstag
im April 1681, als in Lemgo die Glocke von St. Nikolai die letzte große
Hinrichtung auf dem Marktplatz einläutete, galoppierten zwei Reiter in großer
Eile durch die Feldmark und steuerten auf das östliche Tor der Stadtbefestigung
zu. Der Galopp der Pferde wirkte müde. Ihre Leiber berührten fast den sandigen
Boden, während sie mit gestreckten Hälsen und zitternden Flanken über den
aufgeweichten Boden jagten. Links und rechts aus den stark geblähten Nüstern
spritzte rötlich weißer Schaum, der sich mit dem Schweiß vermischte, der ihnen
vom Hals über die Brust in Bächen hinabrann. Eine Weile galoppierten die beiden
Reiter Kopf an Kopf. Irgendwann schlug einer von ihnen mit einer kurzen
Lederpeitsche auf die Kruppe des Pferdes ein, beugte seinen Körper weit über
dessen Hals und übernahm die Führung. Sein schwarzer Mantel flatterte wie eine
Fahne im Wind. Der Dreispitz mit dem dunklen Federbusch war ihm weit in den
Nacken gerutscht.
    Hermanns Gesicht war
vom Wind gerötet, der Zopf hatte sich gelöst, sodass ihm die nassen
Haarsträhnen schmerzhaft in die Augen peitschten, aber es störte ihn nicht. Er
bemerkte es ebenso wenig wie die blutig gebissenen Lippen. Einen Tag und eine
Nacht lang waren sie ohne Unterbrechung durchgeritten, hatten weder sich noch
die Pferde geschont. Unterwegs hatten sie an zwei Poststationen kurz die Pferde
gewechselt und waren sofort weitergejagt. Nur ein einziges Mal auf dem Rückweg,
als Hermann Anton um eine Meile voraus war, hatte er das Pferd gezügelt und war
erschöpft aus dem Sattel geglitten. Einen kurzen Moment nur, das Gesicht an den
warmen Pferdekörper gepresst und die Hand am Sattel, hatte er mit geschlossenen
Augen Kraft gesammelt. Als sein Bruder, die Hände weit nach vorn gestreckt und
den Kopf seitlich am Hals des Pferdes, angeprescht gekommen war, hatte er
bereits wieder im Sattel gesessen. Doch je näher sie den Mauern Lemgos kamen,
umso stärker begannen Zweifel und Ängste seine

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