Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
Vom Netzwerk:
der dich glücklich machen kann,
und als meine Hure bist du zu schade.« Er verharrte noch einen Moment schwer
atmend. Sie konnte sehen, wie sehr er gegen das Verlangen in sich ankämpfte.
Oh, teuflische Versuchung! Die Schlange hatte ihr den Apfel zugeworfen.
Berauscht von seinen Küssen, streckte sie die Arme nach ihm aus, als er sich
von ihr abwandte und sie schweren Schrittes verließ.
    »Was ist Euch,
Jungfer Maria?«
    Verstört hob Maria
den Kopf. Der Prediger Andreas stand über sie gebeugt und berührte sie sanft an
der Schulter. Sie war so sehr in ihr Gebet versunken gewesen, dass sie sein
Kommen nicht bemerkt hatte. Reumütig erhob sie sich.
    »Hochwürden?
Verzeiht mir mein Eindringen in die Kirche, aber ich suchte um Vergebung. Und
wo könnte ich sie anders finden, als hier, in Gottes Haus.«
    Die gütigen Augen
Marias, der Mutter des Herrn, blickten vom Altar unverwandt auf sie herab.
    »Und wovor suchtest
du Vergebung, meine Tochter?« Der Pastor half ihr beim Aufstehen.
    »Ich habe gesündigt,
Hochwürden.«
    Andreas lächelte
sanft. »Doch welche Sünde, mein Kind, kann so schlimm sein, dass Ihr Euch der
Jungfrau Maria unter Tränen zu Füßen werft, während draußen die Jugend den
Frühling eintanzt?«
    Seine Frage rief
erneut die Erinnerung an den Henker und den sündigen Kuss in ihr wach. Die
Wonnen ihrer ersten Erfahrung mit einem Mann lagen noch wie frischer Tau auf
ihren Lippen. Das Verlangen nach Davids Küssen lastete so schwer auf ihrer
Seele, dass sie sich nicht anders zu helfen gewusst und den Weg zur Kirche von
St. Nikolai eingeschlagen hatte. Wie im Traum war sie an den Chorstühlen
und an der Kanzel vorbei zum Altar geschritten, wo sie auf den Stufen vor dem
Bildnis der Jungfrau Maria auf die Knie gesunken war.
    »Die Verwirrungen
der Liebe, Hochwürden«, hauchte sie und wischte sich mit dem Handrücken eine
Träne aus dem Auge.
    Rücksichtsvoll
bedrängte er sie nicht mit Fragen. Als erfahrener Seelsorger sah er, dass die
Jungfer in Nöten steckte und eher Rat und Hilfe als Vergebung brauchte.
»Möchtet Ihr vor dem Abendmahl die Beichte ablegen, mein Kind?«, fragte er
sanft und schlug das Kreuz über ihr.
    »Nein!« Maria hob
flehentlich die Hände. »Nicht vor der lutherischen Gemeinde.«
    Besorgt schaute er sie
an. »Dann muss es eine schwerwiegende Sünde sein, die Eure Seele belastet.
Möchtet Ihr sie mir anvertrauen? Vielleicht kann ich Euch helfen, mein Kind,
doch vergeben kann Euch nur Gott!«
    Dankbar küsste Maria
die Hand mit der Gebetsschnur. Als sie sich wieder aufrichtete, hatte Andreas
bereits das geistliche Gewand aus der Kanzel geholt und es sich lose
übergeworfen. Enttäuscht musste sie feststellen, dass er ihr in dem weltlichen
schwarzen Gehrock und dem ausgeschnittenen weißen Hemd deutlich besser gefallen
hatte. Zum ersten Mal bemerkte sie, dass er sich – schon allein durch die
langen lockigen Haare und das fein geschnittene Gesicht – von den Pastoren St. Mariens
unterschied. Sie errötete leicht.
    Um ihr die Beichte
zu erleichtern, zog Andreas sie sanft auf die Altarstufen hinunter und setzte
sich neben sie. Als er das Erstaunen in ihrem Gesicht sah, lächelte er. »In
meinem Gotteshaus gibt es keine Beichtstühle. Ihr müsst mir schon vor der
heiligen Maria anvertrauen, was Euch bedrückt.«
    Sanft presste er ihr
den Rosenkranz an die Stirn, legte ihn ihr feierlich über die gefalteten Hände
und forderte sie auf: »Nun sprecht – was belastet Euer Herz?«
    »Es ist ein Kuss,
Hochwürden.«
    Andreas lächelte.
Etwas Ähnliches hatte er erwartet. »War er so schrecklich, dass Ihr ihn als
Sünde empfindet?«
    »Der Kuss hat die
schlimmsten Wonnen in mir ausgelöst, und ich erhielt ihn von einem Mann, der
mich niemals hätte küssen dürfen!«
    »Aber Ihr seid ein
junges, schönes Weib, Maria. Es ist ganz normal, dass Ihr diese Erfahrungen
macht, auch wenn Euch dabei mal ein junger Mann einen Kuss raubt. Möchtet Ihr
mir seinen Namen verraten?« Mit Geschick und Einfühlungsvermögen tastete er
sich voran. Er wollte sie nicht drängen, schließlich hatte die Jungfer gerade
ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe gemacht.
    »Es war Meister
David, der Scharfrichter, der mir den Kuss raubte.«
    Erstaunt hob Andreas
die Brauen und runzelte die Stirn. Ein solches Geständnis hatte er nicht
erwartet. Zumal er an der nervösen Bewegung ihrer Hände und dem Zucken in
Marias hübschem Gesicht bemerkte, wie sehr sie dieses Erlebnis gefangen nahm.
    »Bin ich durch

Weitere Kostenlose Bücher