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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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trat ihr der
junge Hermann Reineking in den Weg. Der große, kräftige Mann ballte vor ihr die
Fäuste, und Maria wich erschrocken vor ihm zurück. Die Farbe ihres Gesichtes
ähnelte der ihres Haares.
    »Die Hexe vergiftet
mir mein Vieh!«, donnerte Reineking und sah ihr dabei lüstern in das Mieder. Er
schien sich nicht nur an ihrer Angst zu weiden. »Meine Schafe zittern, springen
unsinnig umher und fallen tot um, wenn sie mit ihrem Wagen an unserem
Stoppelfeld vorbeifährt.«
    Behände brachte
Maria sich vor ihm auf einem Baumstamm in Sicherheit. Einen Kopf breit über
ihm, schrie sie mit vor Wut verzerrter Stimme: »Deine Schafe haben den Mangel,
und den habe ich ihnen nicht angezaubert! Du hast es dir einreden lassen,
genauso wie du dir die Brautwerbung von den Nachbarn hast ausreden lassen!«
    Die Menge lachte.
Die Reaktion gab Maria neue Hoffnung. Beschwörend hob sie die Hände. »Wenn ich
eine Hexe wäre, würde ich dann noch vor euch stehen? Wäre Luzifer mir nicht
längst zu Hilfe geeilt und hätte mich auf seinem Wagen durch das Feuer
davongetragen? Aber stattdessen stehe ich unversehrt vor euch, Leute. Ich,
Cordt Rampendahls Tochter. Wann werdet ihr endlich begreifen, dass wir uns mit
den ewigen Nachbarschaftsstreitigkeiten und den von uns selbst aufgebrachten
Gerüchten nur den hohen Herren auf Gedeih und Verderb ausliefern? Heute bin ich
die Hexe, morgen vielleicht du, Brachts Frau, oder du, Stockmeyers Sohn, ein
Zauberer!«
    Maria hatte
Christoph Stockmeyers Lockenkopf in der Menge entdeckt und suchte nun bei ihm
nach Verständnis und Hilfe. Verlegen richtete Christoph Stockmeyer den Blick
nach unten. Er liebte die Rampendahlsche immer noch. In diesem Moment
bewunderte er sie zutiefst, wie sie auf dem Baumstamm mit flammenden Augen dem
Pöbel trotzig die Stirn bot. Ihre letzten Worte waren nicht spurlos an ihm
vorübergegangen. Insgeheim hatte sie soeben das ausgesprochen, was die Jüngeren
unter ihnen längst wussten. Doch anstatt sich zu wehren, wie Hochwürden Koch es
mittlerweile offen tat, soffen sie, schlugen sich gegenseitig und weideten sich
zur Abwechslung an den Qualen der Geopferten.
    Wütend zerquetschte
er Maria Vieregges Kerze zwischen seinen Händen. Wütend, weil er schwach war
wie ein Lamm und weil ihn Scham und mütterlicher Gehorsam davon abhielten, zur
anderen Maria, der Schöneren der beiden, zu stehen. Stattdessen war er mit der
Tochter des Knochenhauers zum Osterfeuer gegangen, für die auch der Barbier
durch das Feuer sprang.
    Sein Blick glitt zu
dem schwarzhaarigen Luder. Schamlos aufreizend hing es an Caspars Arm, während
er mit erhobenen Armen seiner Schwester Beifall klatschte. »Bravo, Maria! Gib
es ihnen. Sie sind nur dumme Lämmer, aber du bist etwas ganz Besonderes! Und deshalb
werde ich auch eine Kerze für dich anzünden und in die Kirche tragen!«
    »Und ich werde für
dich durch das Feuer springen!« Entschlossen warf Christoph den zerbröckelten
Kerzenstumpen in das Feuer und trat aus der Menge heraus und vor Maria.
    »Du …?« Sprachlos
schaute sie auf ihn herunter. Sein Mut weckte auch den ihren. Freudig streckte
sie ihm die Hände entgegen, während er sich rasch der Handschuhe entledigte und
sie in die Menge warf. Dann zog er das Wams und die Stiefel aus und reichte ihr
barfuß und barhäuptig die Hand. Das weiße Hemd leuchtete im Dunkeln und gab
einen Teil seiner dicht behaarten Brust frei. Glücklich riss Maria es ihm vom
Leib und schwenkte es hoch über ihrem Kopf, während die Menge, begeistert über
seine Courage, »Bravo!« brüllte. Seine starken Arme hoben sie vom Baumstamm
herunter und die, die Maria eben noch als Hexe beschimpft hatten, klopften
Christoph nun freundschaftlich auf die Schulter und grölten: »Bier her! Wo
bleibt Rampendahl?«
    »Sie sollen nicht meinen Gott verhöhnen und sich sicher wähnen, bloß weil
er eine Zeit lang dazu stillschweiget! Auch gebührt es uns Christen, ehrbarlich
zu wandeln und sich nicht im Fressen und Saufen zu ergehen, denn die
Trunkenbolde werden das Reich Gottes nicht schauen!«
    Wie gebannt starrte
Maria durch die Tür auf die prunkvolle Kanzel, von welcher der Pfarrer mit dem
Gebetbuch in Händen das Osterfest segnete. Noch nie hatte sie Hochwürden so
zornig erlebt. Es schien, als spräche eine fremde Macht aus ihm. Anstelle der
üblichen frommen Predigt schleuderte er heute in glühenden Worten die Laster
der Bürger von der Kanzel.
    »Ihr
Leute, die ihr Gottes Wort hinter euch werft, mit Dieben eins

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