Der Henker von Lemgo
seid und in
Gemeinschaft mit Ehebrechern lebt: Eure Mäuler reden Böses, und eure Zungen
treiben Falschheit!«
Jedes Wort traf wie
ein Peitschenhieb, und doch verfolgte Maria die Predigt mit einer seltsamen
Mischung aus Scham und Triumph. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, die Kirche in
der Osternacht nicht zu betreten. Und daran hatte auch Stockmeyers Feuersprung
nichts geändert, dessen selbstloser Einsatz die verlogenen Nachbarn bis zum
Kirchgang von ihr abgelenkt hatte. An der Kirche jedoch, wo die anderen
unmittelbar an ihr vorbeimussten, verfolgten sie ihre bösen Blicke von Neuem
und bohrten sich wie spitze Nadelstiche in ihre Haut. Sobald sie an ihnen
vorüberging, steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten aufgeregt: »Seht
ihr die Hexe dort? Sie hat in der Kirche der Jungfrau Maria gelästert.« Manche
schlugen hinter ihrem Rücken das Kreuz Christi, ganz Eifrige bespuckten und
beschimpften sie. Doch die leidenschaftlichen Worte des Predigers und die
Beruhigung, dass es der Vater war, der jetzt beschützend ihren Arm ergriff,
weckten erneut ihren Kampfgeist.
Mutig betrat sie das
Gotteshaus, um entgegen allen Vorbehalten mit den anderen an den
Osterfeierlichkeiten teilzunehmen. Seltsamerweise erlaubte sich niemand in
Cordt Rampendahls Nähe, offen gegen seine Tochter vorzugehen. Seine imposante
Erscheinung zog sofort sämtliche Blicke auf sich. Die Ratsherren Koch und
Hancke, die es am wildesten getrieben hatten, verbeugten sich heuchelnd vor ihm
wie vor einem Fürsten. In der Erwartung eines Freibieres hätten sie
wahrscheinlich gar einen Fußfall vor ihm gemacht.
Am Arm des Vaters
schritt Maria mit hocherhobenem Haupt an ihnen vorbei und folgte mit der
brennenden Kerze in der Hand der Prozession. Leise stimmte sie mit den anderen
in das Lied »Lumen Christi – Deo Gratias« ein, mit
dem das Licht Christi in die Kirche gebracht wurde.
Über einem Meer
unzähliger flammender Lichter segnete Hochwürden von der Kanzel aus die heilige
Prozession. Und auch wenn seine Worte unter den Zuhörern eher auf Verwunderung
stießen – Maria sprach er damit aus der Seele und verschaffte ihr Sühne für die
erlittene Schmach. Den anderen zum Trotz verfolgte sie die Predigt höchst
konzentriert und lächelte selbstzufrieden hinauf zur Kanzel. Erfreut, in
Hochwürden einen Verbündeten gefunden zu haben, blickte sie zum Vater, um zu
sehen, ob es ihm ebenso erging. Doch der hatte sein Gebetbuch geschlossen und
tuschelte leise mit ihrem Bruder Caspar.
Christoph Stockmeyer
dagegen schien von der Predigt weniger angetan zu sein. »Peinlich ist das«,
zischte er seiner Mutter zu. »Was erlaubt sich dieser Schelm, Gottes Wort so zu
lästern und ehrbare Bürger von der Kanzel aus anzugreifen?«
Catharina Böndel,
die in der vorderen Bank steif auf einer Krinoline aus Rosshaar und Filz saß,
nickte zustimmend und tat die Worte des Sohnes sogleich der Knochenhauertochter
neben ihr im Kirchenstuhl kund. Mit einem ironischen Blick zur Kanzel beugte
sie sich zu der schwarzhaarigen Maria und begann mit ihr aufgeregt zu flüstern.
Auch auf der anderen Seite der Kirchenstühle wurden die Köpfe zusammengesteckt,
und ein vielstimmiges Raunen lief durch die Bankreihen.
Verlegen stieß
Margaretha Maria mit dem Ellbogen an. »Verstehst du Hochwürden? Was ist nur mit
ihm, dass er heute Nacht so redet? Als ob der Teufel ihm die Worte eingibt!«
»Ich glaube nicht,
dass ihm der Teufel die Predigt diktiert. Vielmehr ist es die verlogene
Gemeinde selbst.« Im gleichen Moment erschrak sie über ihre eigenen Worte, die
laut über ihre Lippen gekommen waren. Vieregges Tochter beugte sich empört zu
Brachts Frau hinüber und tuschelte mit ihr, indem sie provozierend in Marias
Richtung schielte. Mehrfach hörte sie ihren Namen, doch Gott, der Allmächtige,
kam ihr zu Hilfe. Hochwürden beschrieb mit den Fingern anklagend einen
Halbkreis über den Köpfen seiner Schäfchen und donnerte so laut von der Kanzel,
dass selbst das Knochenhauerluder ihm mit offenem Mund lauschte.
»Obwohl
Gott ernstlich geboten hat, dass man die Zauberer nicht leben lassen solle, so
hat er daneben auch geboten: Du sollst falscher Anklage nicht glauben. Du
sollst kein Verleumder sein unter deinem Volk. Du sollst fleißig suchen,
forschen und fragen, ob sich’s also in Wahrheit verhalte, was da geredet wird,
damit niemand unschuldig überzeuget, sondern gleich der Susanna durch besondere
Vorsorge des Daniel gerettet werden möge.«
In der Kirchenhalle
war es
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