Der Henker von Lemgo
glücklich schätzen können, dass er, Ratsherr Cordt
Rampendahl, großmütig über die Schande seiner Tochter hinwegsah und Hermann als
künftigen Schwiegersohn in seine Familie aufnahm.
Er ging in die
Kammer und beugte sich ein letztes Mal über den schnarchenden Hermann. Nachdem
er sich überzeugt hatte, dass er fest schlief und nicht vorzeitig erwachen
würde, gab er Maria das Zeichen, sich in ihre Schlafstatt zurückzuziehen.
»Morgen vor dem
ersten Hahnenschrei kriechst du zu ihm unter die Decke. Ich werde sofort zur
Stelle sein, um euch beide zu kompromittieren«, flüsterte er.
»Und wenn er vorher
erwacht?«, wandte Maria ebenso leise ein.
»Lege dich beruhigt
schlafen, meine Tochter. Das wird nicht passieren. Das Mittel, das ich ihm in
den Wein geschüttet habe, würde noch jeden Ochsen umhauen!«
Das Erste, was
Hermann beim Erwachen spürte, war ein furchtbares Dröhnen. Es hämmerte und
knirschte vom Hinterkopf bis zu den Ohren und endete als stechender Schmerz in
den Augen, vor denen bunte Kreise wild miteinander verschmolzen.
»Aaaah«, stöhnte er
und griff sich an den Kopf, unfähig, ihn auch nur einen Zoll weit zur Seite zu drehen.
Unter heftigem Blinzeln versuchte er vorsichtig, zwischen den vom Schlaf
verklebten Lidern etwas zu erkennen. Alles um ihn war hell, gleißend hell. Das
Licht schmerzte.
»Wo bin ich?«
Hermann erschrak über seine eigene Stimme, die ihm wie die eines Toten vorkam.
Sein Mund war trocken, die Zunge schwer.
»Hier bei mir, mein
Liebster«, rauschte es an seinem Ohr. Oh, welch schmerzhafte Wonnen! Seine
Finger tasteten neben sich. Irgendwoher musste diese Stimme ja gekommen sein.
Er spürte warmes, weiches Fleisch. Es fühlte sich gut an und erinnerte ihn an
Marias Schenkel.
»Maria!« Wie ein
Blitz verflog der Traumzustand, und er richtete sich ungeachtet der Schmerzen
jäh auf. Hellwach kehrte die Erinnerung teilweise zurück, langsam genug, als
dass er sich keinen Reim darauf machen konnte, warum er glaubte, die ganze
Familie Rampendahl schemenhaft vor sich erkennen zu können. Der Ausdruck auf
Cordts Gesicht verhieß nichts Gutes.
»Guten Morgen,
Hermann Hermessen. Ich hoffe, du hast eine gute Nacht gehabt?«
Obwohl er sich nicht
erklären konnte, was der Aufmarsch vor seinem Bett sollte, spürte er
instinktiv, dass es etwas mit der Ehre des Hauses zu tun haben musste.
Wenngleich sich die Bilder des vergangenen Abends inzwischen unscharf
zusammenfügten, verblieb dennoch eine Lücke, die wie ein schwarzes Loch in
seinem Kopf klaffte. In der Hoffnung, Anton neben sich vorzufinden, schielte er
zur Seite, doch die andere Betthälfte war leer. Erstaunt fuhr er mit der Hand
über das zerwühlte und noch warme Bettlaken. An einem kreisrunden Fleck hielt
er inne. Neugierig fuhr er darüber und beroch anschließend die Finger. Sein
Blick fiel auf Maria, die mit gelöstem Haar im Hemd neben dem Bett stand und
ihn nervös beobachtete. Erstaunt suchte er in ihren Augen nach einer Erklärung,
doch Cordt kam ihr zuvor.
»Es ist das
jungfräuliche Blut meiner Tochter Maria, die du entehrt hast, obwohl ich dir
mein Haus und meine Freundschaft angeboten habe!«, donnerte er. »Verteidige
dich, Hermann Hermessen!«
»Nicht so hastig,
Cordt Rampendahl.« Hermann versuchte immer noch, einen klaren Kopf zu bekommen
und sich zu erinnern. »Du beschuldigst mich also, deine Tochter entehrt zu
haben, dabei weiß ich doch nicht einmal, wie ich in dieses Bett gekommen bin.
Wo ist überhaupt mein Bruder? Wo habt ihr ihn versteckt?«
»Ich bin hier,
Bruderherz!« Lautes Poltern und Schimpfen erklang, Metall klirrte, und eine Tür
fiel krachend ins Schloss. Maria sprang mit einem leisen Aufschrei zur Seite,
als Anton im Türrahmen erschien. Nur mit Hemd und Hose bekleidet, schwang er
den Wanderstab über dem Kopf und tobte: »Die Knechte haben mich im Zimmer
nebenan festgehalten. Wir sind Opfer eines Komplotts geworden, Hermann!« Mit
drei Schritten stand er neben dem Bett. »Wenn sich mir einer in den Weg stellt,
wird er damit aufgespießt!« Drohend richtete er den Stock auf Cordt und machte
ein paar Schritte auf Maria zu.
»Was soll das
Theater?«, fragte er. »Du Hure hast dich Hermann doch förmlich an den Hals
geworfen.«
Beschämt blickte
Maria zu Boden, doch im gleichen Augenblick kam ihr Cordt zu Hilfe.
Blitzschnell packte er Anton und schleuderte ihn gegen die Wand. Ebenso schnell
war seine Hand an dessen Kehle und drückte ihm die Luft ab, bis er krebsrot
anlief und seine
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