Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Wittiges nahm einem Mädchen einen Krug ab und trank in tiefen Zügen, während er sich bis zu einem der Pfosten zurückzog, die das gewaltige Dach trugen. Von hier aus beobachtete er die Männer einen nach dem anderen. Die Krieger aus Therouanne waren an ihren besonders breiten, mit grob geschmiedeten Eisenplatten verzierten Gürteln leicht zu erkennen.
Nach einer Weile kam Wittiges zu dem Schluss, dass höchstens vier oder fünf der übrigen Krieger noch auf Merowechs Seite standen, denn es waren diejenigen, die weder mit den Therouannern tranken noch mit ihnen redeten.
Aber vielleicht war nur noch dieser Gailen als Verbündeter übrig geblieben. Einer der Männer schlenderte auf Wittiges zu und sprach ihn an. „Gehört dir dieser falbe Hengst da draußen?“
Wittiges war sofort auf der Hut. Unglücklicherweise mischte sich Merowech ein. „Warum?“, rief er zu ihnen herüber. „Willst du sein Pferd kaufen?“
Der Mann grinste. „Wozu?“, fragte er leichthin. „Wozu etwas kaufen, was mir zusteht? Ebroin“ - er deutete auf den Zischler - „kommt das Pferd auch bekannt vor. Solche Pferde sieht man hier nicht. Und du hast nicht zufällig eine Kutte im Gepäck, die nach Schlamm stinkt?“
Ehe sich Wittiges versah, wurden seine Arme nach hinten gerissen. Drei, vier Männer stießen Merowech aus dem Weg, entwaffneten Wittiges, fesselten ihn und banden ihn an den Pfosten. Als er lauthals protestierte, in der Hoffnung bis draußen gehört zu werden, stopfte man ihm einen Lappen in den Mund und band ihn mit einem Tuchstreifen fest.
Jetzt begehrte nur noch Merowech auf. „Was fällt euch ein? Was soll das?“, schrie er außer sich vor Zorn. „Warum bringt ihr ihn nicht gleich um?“
Ebroin winkte ab. „Dafür ist später noch Zeit. Hauptsache, er fuhrwerkt uns nicht dazwischen. Vor etwa drei Tagen schlich er als Mönch verkleidet um den Hof herum. Warum? Betrachte es als Vorsichtsmaßnahme, dass wir ihn gefesselt haben. Und nun gib Ruhe.“ Ebroin grinste breit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bis ...“ Er beendete den Satz nicht und zuckte nur vielsagend mit den Augenbrauen.
Wittiges konnte den Kopf noch drehen. Nun fiel ihm auf, was ihm vorher entgangen war: Weder Merowech noch Gailen trugen Waffen. Sie waren also Gefangene wie er selbst. Zwei Krieger passten auf, dass niemand Wittiges zu nahe kam.
Mittags gab ihm eine der Mägde einen Schluck Wasser zu trinken, wurde aber sogleich fortgescheucht. Etwa eine Stunde später drangen von draußen Rufe herein. Etwas tat sich dort. Schon vorher hatte Wittiges bemerkt, wie Merowech immer wieder leise und mit wachsender Unruhe auf Gailen einredete, in den Augen blanke Verzweiflung. Gailen wirkte zunehmend bedrückt, aber das war aufgrund der aussichtslosen Lage kein Wunder.
Auf einmal bückte er sich, nestelte an seinem Stiefel, und in diesem Moment hätte Wittiges gern warnend aufgeschrien. Gailen zog ein Messer hervor. Fast beiläufig legte ihm Merowech die Hände auf die Schultern.
Wittiges zerrte an seinen Fesseln, hielt dann aber still. Niemand beachtete die beiden, nur Wittiges stand so, dass er das Messer sehen konnte. Es hatte eine schmale, biegsame, leicht bläulich schimmernde Klinge. Immerhin ein gutes Messer.
Die beiden Freunde sahen sich ein letztes Mal in die Augen.
Wittiges hielt den Atem an und machte sich klar, dass Merowech nichts Besseres widerfahren konnte. Lieber so, als Fredegund in die Hände zu fallen. Aber vielleicht hatte sie ihm so ein Ende gewünscht? Damit doch endlich jemand aufmerksam wurde, trat Wittiges mit einem Fuß gegen den Pfosten. Aber in diesem Moment setzten draußen gellende Schreie ein.
Merowech nickte, fasste die Schultern seines Freundes fester und warf sich dem Messer entgegen, das ihm Gailen von unten ins Herz stieß.
Pferde wieherten schrill, die Tür flog auf, und ein Trupp Krieger stürzte ins Haus. Das mussten Fredegunds Männer sein. Im Handumdrehen entwickelte sich ein regelrechtes Gemetzel rings um das Feuer.
Gailen hatte den toten Merowech vorsichtig zu Boden gleiten lassen und warf sich über die Leiche. Der Kampf tobte um die beiden herum.
Warum wurde überhaupt gekämpft?
Fassungslos schaute Wittiges zu, während er hilflos an seinen Fesseln zerrte. Niemand beachtete ihn, es war, als ob er zu einem Teil des Pfostens geworden wäre.
Fredegunds Männer waren in der Überzahl, und sie entschieden den Kampf sehr rasch für sich. Die letzten sechs oder sieben Überlebenden senkten die Waffen
Weitere Kostenlose Bücher