Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
prominente Gäste hatten. Auch Soldat Nummer zwei sprach Chinesisch, sodass Allan in Gestalt des Marschalls abermals den Wunsch nach einem Treffen mit Ministerpräsident Kim Il-sung vorbrachte. Bevor ihm Soldat Nummer zwei antworten konnte, unterbrach ihn Nummer eins mit neuerlichem Gegurgel.
»Was sagt er?«, wollte Marschall Allan wissen.
»Er sagt, Sie hätten sich gerade nackt ausgezogen und dann wieder angezogen«, antwortete Soldat zwei ehrlich.
»Der Alkohol, der Alkohol.« Allan schüttelte den Kopf.
Soldat zwei drückte sein Bedauern über das Benehmen seines Kollegen aus, und als Nummer eins darauf beharrte , dass Allan und Herbert sich gerade aus- und wieder angezogen hatten, bekam er von Nummer zwei was auf die Fresse, verbunden mit der Warnung, dass er jetzt ein für alle Mal die Klappe halten solle, wenn er nicht wegen Trunkenheit im Dienst angezeigt werden wollte.
Da entschied sich Soldat eins zu schweigen (und noch einen Schluck zu nehmen), während Nummer zwei ein paar Telefonate führte. Dann stellte er ihnen einen koreanischen Passierschein aus, unterschrieb, stempelte ihn an zwei Stellen und überreichte ihn Marschall Allan mit den Worten:
»Das zeigen Sie einfach bei der nächsten Kontrolle vor, Herr Marschall. Dann werden Sie zum engsten Vertrauten des engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten geführt.«
Allan bedankte sich, salutierte und ging zurück zum Auto, wobei er Herbert vor sich her schubste.
»Du bist gerade Adjutant geworden, also muss du jetzt fahren«, erklärte Allan.
»Ist ja interessant«, meinte Herbert. »Ich bin nicht mehr Auto gefahren, seit mir die Schweizer Polizei verboten hat, mich jemals wieder hinters Steuer zu setzen.«
»Ich glaube, du erzählst mir jetzt lieber nichts mehr darüber«, sagte Allan.
»Ich tu mich immer so schwer mit rechts und links«, versuchte es Herbert noch einmal.
»Wie gesagt, ich glaube, du erzählst mir jetzt lieber nichts mehr darüber«, sagte Allan.
Die Reise ging weiter, nur jetzt mit Herbert am Steuer, und es lief viel besser, als Allan geglaubt hatte. Mit Hilfe ihres Passierscheins war es überhaupt kein Problem, bis in die Stadt zu fahren und dort bis zum Palast des Premiers.
Dort empfing sie der engste Vertraute des engsten Vertrauten und teilte ihnen mit, der engste Vertraute selbst könne ihnen frühestens in drei Tagen eine Audienz gewähren. Während sie darauf warteten, würde man die Herren in der Gästewohnung des Palastes einquartieren. Abendessen werde übrigens um acht Uhr serviert, wenn es recht sei.
»Sieh an, sieh an«, sagte Allan zu Herbert.
* * * *
Kim Il-sung wurde im April 1912 als Kind einer christlichen Familie am Stadtrand von Pjöngjang geboren. Die Familie stand damals unter japanischer Oberhoheit, wie alle koreanischen Familien. Im Laufe der Jahre hatten sich die Japaner angewöhnt, mit der Bevölkerung ihrer Kolonie umzuspringen, wie es ihnen passte. Hunderttausende von koreanischen Mädchen und Frauen wurden als Sexsklavinnen für die kaiserlichen Soldaten geraubt. Koreanische Männer wurden für die Armee zwangsrekrutiert, um für den Kaiser zu kämpfen, der sie unter anderem zwang, japanische Namen anzunehmen und auch ansonsten alles dafür tat, dass die koreanische Sprache und Kultur baldigst ausstarb.
Kim Il-sungs Vater war ein stiller Apotheker, aber seine kritischen Bemerkungen zu den japanischen Manieren sprach er laut genug aus, um das Missfallen der Besatzer zu erregen, sodass die Familie eines Tages vorsichtshalber Richtung Norden zog, in die chinesische Mandschurei.
Doch der Frieden hielt nicht lange an, denn 1931 stießen die japanischen Truppen auch hierher vor. Kim Il-sungs Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, doch die Mutter ermutigte den Sohn, sich der chinesischen Guerilla anzuschließen, die die Japaner aus der Mandschurei vertreiben wollten – und auf lange Sicht auch aus Korea.
Kim Il-sung machte Karriere im Dienst der chinesischen kommunistischen Guerilla. Er erwarb sich den Ruf, tatkräftig und mutig zu sein. Schließlich wurde er sogar zum Anführer einer ganzen Division ernannt und kämpfte mit solch bedingungslosem Einsatz gegen die Japaner, dass zum Schluss nur noch er und eine Handvoll Mitstreiter am Leben waren. Das war 1941, mitten während des Zweiten Weltkriegs, und Kim Il-sung sah sich gezwungen, über die Grenze in die Sowjetunion zu fliehen.
Doch auch dort machte er Karriere. Schon bald war er Hauptmann und kämpfte bis 1945 in der Roten
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