Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
machen.
»Anglikanischen Pastoren auch?«, hakte Allan nach.
Pfarrer Ferguson antwortete, dass anglikanische Pfarrer nichts zu fürchten hätten, denn es herrsche immer noch Religionsfreiheit im Iran. Aber er sei in seiner Eigenschaft als anglikanischer Pfarrer vielleicht doch zu weit gegangen, glaubte er.
»Wer in den Klauen der Geheimpolizei landet, hat keine guten Aussichten. Ich für meinen Teil befürchte, das könnte hier die Endstation sein«, meinte Pfarrer Ferguson und sah plötzlich sehr traurig aus.
Sofort tat Allan der neue Zellengenosse leid, obwohl er ein Pfarrer war. Er tröstete ihn, dass sie sicher einen Weg finden würden, von hier zu fliehen, aber alles habe eben seine Zeit. Zuerst wollte er aber wissen, wie der Pfarrer überhaupt in diese Verlegenheit geraten sei.
Kevin Ferguson schniefte und richtete sich auf. Er habe ja gar keine Angst vor dem Sterben, meinte er, er fand nur, dass er auf Erden noch so viel hätte tun können. Er lege sein Leben in Gottes Hand, wie immer, aber wenn Herr Karlsson in der Zwischenzeit einen Ausweg für sich und ihn finden könnte, sei der Pfarrer sicher, dass Gott es ihm nicht übel nehmen würde.
Dann begann der Pastor seinen Bericht. Nachdem er gerade sein Examen abgelegt hatte, war ihm der Herr eines Nachts im Traum erschienen. »Geh in die Welt und missioniere«, hatte der Herr befohlen, aber mehr hatte er ihm nicht mitgeteilt, sodass sich der Pfarrer selbst ausdenken musste, wohin er gehen sollte.
Von einem englischen Freund und Bischof hatte er den Tipp bekommen, in den Iran zu gehen – ein Land, in dem die herrschende Religionsfreiheit schrecklich missbraucht werde. So könne man zum Beispiel die Anglikaner im Iran an zwei Händen abzählen, während es von Schiiten, Sunniten, Juden und Anhängern reiner Hokuspokusreligionen nur so wimmelte. Wenn es überhaupt Christen gab, waren es Armenier oder Assyrer, und wie jeder wusste, hatten die Armenier und Assyrer die christliche Lehre hoffnungslos in den falschen Hals gekriegt.
Allan sagte, das habe er ja noch gar nicht gewusst, aber jetzt wisse er Bescheid und bedanke sich für die Belehrung.
Der Pfarrer fuhr fort. Der Iran und Großbritannien standen auf freundschaftlichem Fuße miteinander, und mit Hilfe eines hochrangigen politischen Kontakts der anglikanischen Kirche hatte der Pastor in einem britischen Diplomatenflieger nach Teheran mitreisen dürfen.
So geschehen vor einem guten Jahrzehnt, ungefähr 1935. Seitdem hatte er sämtliche Religionen abgeklappert, rund um die Hauptstadt in immer größeren Kreisen. Zu Anfang konzentrierte er sich auf die verschiedenen religiösen Zeremonien. Er schlich sich in die diversen Moscheen, Synagogen und Tempel und wartete den richtigen Moment ab, um einfach die laufende Zeremonie zu unterbrechen, indem er mit Hilfe eines Dolmetschers die wahre Lehre verkündete.
Allan lobte seinen Zellengenossen und meinte, dass der Pastor wirklich ein mutiger Mann sei. Er stelle sich bloß die Frage, wie es um seinen Verstand bestellt sei, denn mit dieser Vorgehensweise dürfte er doch wohl kaum jemals Erfolg gehabt haben?
Pfarrer Ferguson räumte ein, dass er tatsächlich kein einziges Mal Erfolg gehabt habe. Er habe ja auch nie bis zum eigentlichen Kern der Sache vordringen können, weil der Dolmetscher und er jedes Mal an die Luft gesetzt wurden, und meistens hätten sie sogar noch Prügel bezogen. Das habe ihn jedoch nicht daran hindern können, seinen Kampf fortzusetzen. Er wusste, dass er jedem, dem er begegnete, die anglikanische Saat ins Herz setzte.
Schließlich hatte sich der Ruf des Pfarrers aber so verbreitet, dass es schwer wurde, noch Dolmetscher zu finden. Kein Dolmetscher habe sich ein zweites Mal zur Verfügung stellen wollen, und irgendwann habe es sich bestimmt unter ihnen herumgesprochen.
Daher legte der Pfarrer eine Pause ein und beeilte sich mit seinen Persischstudien. Unterdessen überlegte er, wie er seine Taktik verfeinern könnte, und als er endlich volles Vertrauen in seine Sprachkenntnisse hatte, setzte er seinen neuen Plan in die Tat um.
Statt Tempel und Zeremonien aufzusuchen, ging er auf Marktplätze, auf denen die jeweilige Irrlehre unter den Besuchern weit verbreitet war. Dort stellte er sich auf eine mitgeschleppte Holzkiste und bat um Aufmerksamkeit.
Diese Verfahrensweise hatte ihm zwar nicht mehr so viel Prügel eingetragen, aber die Zahl der geretteten Seelen entsprach nicht andeutungsweise Pfarrer Fergusons Vorstellungen.
Allan
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