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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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»Entweder hat er bald ganz Persien anglikanisiert, oder er ist inzwischen tot. Und in diesem Fall glaube ich eher nicht, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.«
    »Klingt genauso, als würde man Stalin herausfordern«, meinte Julij aufrichtig. »Aber das wäre natürlich Verrat an der Revolution, daher wäre die Überlebenschance eher gering.«
    Julijs Aufrichtigkeit schien an diesem Tag und in dieser Gesellschaft keine Grenzen zu kennen. Er erzählte ganz offenherzig, was er über Marschall Berija dachte, den Chef des Sicherheitsdienstes, der mit mehr Eile als Weile zum höchsten Verantwortlichen im Atombombenprojekt ernannt worden war. Um es kurz zu machen: Berija hatte überhaupt keine Scham im Leibe. Er missbrauchte Frauen und Kinder sexuell, und unerwünschte Elemente ließ er in Straflager deportieren, wenn er sie nicht gleich selbst umbrachte.
    »Nur, dass wir uns recht verstehen«, sagte Julij. »Ein unerwünschtes Element muss natürlich so schnell wie möglich aussortiert werden, aber eben unerwünscht im Sinne der richtigen revolutionären Gründe. Wer dem Sozialismus nicht dienen will, muss weg! Aber wenn jemand Marschall Berija nicht dienen will … nein, Allan. Marschall Berija ist kein wahrer Repräsentant der Revolution. Aber das darf man natürlich Genosse Stalin nicht anlasten. Es war mir noch nicht vergönnt, ihn zu treffen, aber er hat die Verantwortung für ein ganzes Land, ja, für einen ganzen Kontinent. Wenn er bei dieser Aufgabe zufällig einem Marschall Berija mehr Verantwortung übertragen hat, als dieser tragen kann … dann ist das Genosse Stalins gutes Recht! Aber jetzt, mein lieber Allan, will ich dir etwas ganz Großartiges erzählen. Du und ich, wir haben heute Nachmittag nicht nur eine Audienz bei Marschall Berija, sondern auch bei Genosse Stalin höchstpersönlich ! Er will uns zum Abendessen einladen.«
    »Darauf freue ich mich wirklich sehr«, beteuerte Allan. »Aber was machen wir bis dahin? Sollen wir uns etwa bis heute Abend von Geleehimbeeren ernähren?«
    Julij sorgte dafür, dass das Auto einen Zwischenhalt in einer kleinen Stadt am Weg einlegte, wo er Allan ein paar belegte Brötchen organisierte. Dann ging die Fahrt weiter, und so auch das interessante Gespräch.
    Zwischen zwei Bissen dachte Allan über diesen Marschall Berija nach, der – nach Julijs Beschreibung zu urteilen – ja Ähnlichkeiten mit dem so plötzlich dahingerafften Chef der Sicherheitspolizei in Teheran zu haben schien.
    Julij wiederum versuchte aus seinem schwedischen Kollegen schlau zu werden. Der würde gleich mit Stalin zu Abend essen und hatte erklärt, dass er sich darauf freute. Doch Julij musste noch einmal nachfragen, ob der Mann sich nicht doch mehr auf das Abendessen freute als auf den Staatschef.
    »Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen«, sagte Allan diplomatisch und lobte die Qualität der russischen Brötchen. »Aber, lieber Julij, darf ich dir auch noch ein, zwei Fragen stellen?«
    »Natürlich, lieber Allan. Frag nur, ich werde dir nach bestem Wissen und Gewissen antworten.«
    Allan gestand, dass er bei Julijs politischen Ausführungen nicht so genau zugehört hatte, denn Politik war einfach nicht das Thema, das ihn sonderlich interessierte. Außerdem wusste er noch genau, dass sein Kollege ihm am Vorabend versprochen hatte, nicht zu sehr in diese Richtung auszuschweifen.
    Doch über Julijs Beschreibung der menschlichen Mängel des Marschalls war Allan gestolpert; er meinte, er habe in seinem Leben schon öfters Personen dieses Schlages getroffen. Und hier habe er irgendwie ein Verständnisproblem: Einerseits sei Marschall Berija ja völlig rücksichtslos, wenn Allan das richtig verstanden habe. Andererseits hatte er dafür gesorgt, dass es Allan an nichts fehlte, mit Limousine und allen Schikanen.
    »Da stelle ich mir doch insgeheim die Frage, warum er mich nicht einfach hat entführen lassen, um mir mit Gewalt zu entlocken, was er wissen will«, meinte Allan. »Dann hätte er sich die Geleehimbeeren sparen können, die Pralinen, die hunderttausend Dollar und noch so einiges mehr.«
    Julij fand, das Tragische an Allans Überlegung sei, dass sie tatsächlich nicht weit hergeholt war. Mehr als einmal hatte Marschall Berija – obendrein im Namen der Revolution – unschuldige Menschen gefoltert, das war Julij bekannt. Doch jetzt verhielt es sich so, sagte Julij und zauderte ein wenig, jetzt verhielt es sich eben so, sagte Julij und machte den Kühlschrank auf, um

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