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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Lieber blind als sehend, möchte er sie, denn das bedeutet mehr Macht!«
    »Philippe, du bist gräßlich!« rief Marie-Thérèse.
    »Nein, mein Engel!« rief Philippe gequält. »Einer muss deinem misanthropischen Onkel endlich seinen grämlich-eitlen Eigennutz vorhalten. Fühlst du nicht, wie er dich zerstört? Wo ist deine Kraft? Welches Wrack hat er mir aus London zurückgeführt!«
    »Dummer Bauer, du!«
    Die Heftigkeit, mit der Abbé de Villers Philippe anfauchte, entging auch Albert Joffe nicht. Seine Augen tanzten über Marie-Thérèse, Philippe und den Abbé hinweg – spöttisch und aufmerksam, dabei die dicken Finger nervös aneinanderreibend.
    Marie-Thérèse hielt sich erst die Ohren zu, dann eilte sie an den Flügel und donnerte einen Lauf über die Klaviatur. Von chromatischen Skalen bis monströs krachenden Akkordtrillern bot sie die ganze Palette mechanischer Akrobatik. Eine Minute lang, zwei, fünf - stur wütete sie im Fortissimo, spielte und spielte und ruinierte damit zielsicher die Nerven Philippes und des Abbés: Als hätten sie sich verabredet, sprangen beide auf und fixierten die munter vagabundierenden Hände unsanft auf den Tasten - der eine die rechte, der andere die linke. Ich hielt es nicht mehr aus: Ich schrieb meine Beherrschung in den Wind und stürzte mich voller Wut auf sie – was Marie-Thérèse im nächsten Augenblick groteske Geräusche zweier sich auf dem Parkett balgender Männer bescherte.
    Philippe und ich traktierten uns mit Püffen und Knüffen. Nicht minder aufgebracht hieb uns Abbé de Villers den Fuß in Rippen und Wirbel, solange bis die Wut verraucht war und uns bewußt wurde, zu welch grotesker Situation wir uns hatten hinreißen lassen. Nach einer Weile begannen wir zu kichern, versetzten uns harmlosere Hiebe und lachten schließlich lauthals.
    Der Knall, der darauf folgte, war der von Holz auf Holz und typisch für einen zugeschlagenen Klavierdeckel. Er brachte nicht nur uns drei endgültig zur Besinnung, sondern auch Albert Joffe dazu, dass er sich verabschiedete. Er danke für die Vorstellung, sagte er und bekannte, dass er glaube, sich für den Moment weitere Fragen schenken zu können.
    Darauf Fasste er in seine Rocktasche und legte einen Ring auf den Flügel.
    »Tut mir Leid, Baron«, sagte er. »Eines von Ihres Herrn Bruder Mädchen konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie fand den Ring, eingetreten in den Flor des Teppichs vor besagter geritzter Scheibe.«
    Draußen packte mich der Mißmut. In den ersten Minuten hatte ich mich noch mit einem Pyrrhussieg zu trösten versucht, doch nun kam ich mit jedem Schritt mehr zur Überzeugung, dass ich mich selbst betrog. Ziellos spazierte ich durch die Straßen Saint-Germain-des-Prés. Die Nacht war klar, die Schatten scharf. Wo das Mondlicht hinfiel, verwandelten sich die grauen Fassaden und der Putz der Gesimse in unwirklich traumhelle Kulissen. Doch was im Dunkeln lag, wirkte so schwarz, als sei alles zu einem konturlosen Block verschweisst. Zum Glück leuchtete in dieser bedrohlichen Ödnis zuweilen ein anheimelndes Fenster-Viereck, und dann und wann erhaschte ich sogar die Klänge eines Lieds oder Lachens.
    Sieger ist der Abbé, gestand ich mir ein. Verlierer Nummer eins Philippe, Nummer zwei deine Wenigkeit. Sie hat uns beide unmißverständlich zum Teufel geschickt. Du musst es akzeptieren!
    Ich bog um eine Ecke ins Dunkel, mein Atem ging schnell. Von wegen Pyrrhussieg! Ich fluchte leise, als das Pärchen, das vor mir ging, plötzlich stehenblieb und sich küsste. Beinahe hätte ich der Frau in die Hacken getreten. Grimmig streifte ich mit meinem Stock den Mantel des Mannes, dem gerade einfiel, unbedingt küssen zu müssen.
    »Mach`s im Schlafzimmer«, zischte ich.
    »Und du dir selbst!«
    Das Mädchen hatte offensichtlich Haare auf den Zähnen. Meine Laune besserte sich. Nun gut, Marie-Thérèse hatte Philippe und mir einen Laufpaß gegeben – nur wer würde damit besser zurecht kommen: er oder ich? Ich stellte mir einen sich abmühenden Philippe vor, dem nichts, aber auch gar nichts gelang, weil sein Zorn, seine Eifersucht ihn fixierten, wie es nur der Blick eines Hypnotiseurs vermochte. Selbstbewußt sagte ich mir, dass ich ihre Zurückweisung besser verkraften würde. Denn unsere Künstlerin hatte mich nur als Volldackel beschimpft, Philippe aber als Halbdackel. Doch war nicht ein Halbdackel ein viel ärgerer Versager als ein Volldackel? Letzterer taugte wenigstens für die Jagd und ersterer nur für die

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