Der Idiot
Frau?«
»Ja.«
»Nun, das hast du wohl aus Romanen! Das sind altmodische Torheiten, liebster Fürst; aber jetzt ist die Welt klüger geworden, und all das ist jetzt Unsinn! Und wie kannst du denn heiraten? Du brauchst ja selbst noch eine Wärterin!«
Der Fürst stand auf und sagte mit zitternder, schüchterner Stimme, aber zugleich mit der Miene tiefster Überzeugung:
»Ich weiß nichts von der Welt, Nastasja Filippowna; ich habe nichts von der Welt gesehen; darin haben Sie recht; aber ich ... ich bin der Ansicht, daß Sie mir eine Ehre erweisen und nicht ich Ihnen. Ich bin ein Nichts; aber Sie haben gelitten und sind aus einer solchen Hölle rein hervorgegangen, und das ist etwas Großes. Warum schämen Sie sich also und wollen zu Rogoschin gehen? Das ist Fieber ... Sie haben Herrn Tozki die fünfundsiebzigtausend Rubel zurückgegeben und sagen, daß Sie auf alles, was hier ist, verzichten werden; dessen wäre keiner der hier Anwesenden fähig. Ich ... ich liebe Sie, Nastasja Filippowna. Ich sterbe für Sie. Ich werde nicht dulden, daß jemand über Sie ein schlechtes Wort sagt. Wenn wir arm sein werden, so werde ich arbeiten, Nastasja Filippowna ...«
Bei den letzten Worten hörte man Ferdyschtschenko und Lebedjew kichern, und selbst der General räusperte sich sehr mißvergnügt. Ptizyn und Tozki konnten sich nicht enthalten zu lächeln, beherrschten sich aber noch. Die übrigen rissen geradezu den Mund auf vor Verwunderung.
»... Aber vielleicht werden wir nicht arm sein, sondern sehr reich, Nastasja Filippowna«, fuhr der Fürst in demselben bescheidenen Ton fort. »Ich weiß es übrigens nicht bestimmt und bedaure, daß ich den ganzen Tag über bis jetzt darüber nichts habe erfahren können; aber ich habe in der Schweiz einen Brief aus Moskau von einem Herrn Salaskin erhalten, und er teilt mir mit, ich könne eine sehr große Erbschaft antreten. Hier ist der Brief ...«
Der Fürst zog wirklich einen Brief aus der Tasche.
»Redet er denn irre?« murmelte der General. »Es ist ja hier das reine Narrenhaus!«
Für einen Augenblick trat Stillschweigen ein.
»Sie sagten ja wohl, Fürst, der Brief an Sie sei von Salaskin?« fragte Ptizyn. »Das ist ein in seinen Kreisen sehr bekannter Mann, ein bekannter Rechtsanwalt, und wenn er Ihnen das wirklich mitgeteilt hat, so können Sie sich vollständig darauf verlassen. Zum Glück kenne ich seine Handschrift, da ich erst kürzlich mit ihm geschäftlich zu tun hatte ... Wenn Sie mir den Brief zur Einsicht geben wollten, so könnte ich Ihnen vielleicht etwas darüber sagen.«
Mit zitternder Hand reichte ihm der Fürst schweigend den Brief hin.
»Ja, was hat denn das zu bedeuten? Was hat das zu bedeuten?« rief der General erstaunt und blickte alle wie ein Halbirrer an. »Hat er wirklich eine Erbschaft gemacht?«
Alle richteten ihre Blicke auf Ptizyn, der den Brief las. Die allgemeine Neugier hatte einen neuen außerordentlichen Anstoß erhalten. Ferdyschtschenko war außerstande, auf seinem Platz sitzenzubleiben; Rogoschin machte ein verständnisloses, furchtbar beunruhigtes Gesicht und sah abwechselnd nach dem Fürsten und nach Ptizyn hin. Darja Alexejewna saß in gespannter Erwartung wie auf Nadeln. Selbst Lebedjew vermochte sich nicht zu beherrschen; er kam aus seiner Ecke hervor und blickte, sich tief hinabbeugend, über Ptizyns Schulter in den Brief, mit der Miene eines Menschen, der darauf gefaßt ist, im nächsten Augenblick eine Ohrfeige zu erhalten.
Fußnoten
1 Marlinski ist das Pseudonym des Schriftstellers Alexander Alexandrowitsch Bestuschew, 1797-1837. (A.d.Ü.)
XVI
»Die Sache hat ihre Richtigkeit«, erklärte Ptizyn endlich, indem er den Brief wieder zusammenfaltete und dem Fürsten zurückgab. »Sie werden ohne alle Umstände auf Grund des unanfechtbaren Testaments Ihrer Tante ein sehr beträchtliches Kapital erhalten.«
»Es ist unmöglich!« rief der General unwillkürlich.
Alle rissen wieder den Mund auf.
Sich vorzugsweise an Iwan Fjodorowitsch wendend, setzte Ptizyn die Sache folgendermaßen auseinander. Vor fünf Monaten sei eine Tante des Fürsten gestorben, die er nie persönlich gekannt habe, eine ältere Schwester seiner Mutter, die Tochter des Moskauer Kaufmanns dritter Gilde Papuschin, der Bankrott gemacht habe und in größter Armut gestorben sei. Aber der gleichfalls unlängst verstorbene ältere Bruder dieses Papuschin sei ein bekannter, reicher Kaufmann gewesen. Vor einem Jahr seien ihm fast in ein und
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