Der Idiot
Interesse zu erregen. Aglaja benahm sich gegen ihn sehr gnädig und zeigte sich sehr lachlustig. Jewgeni Pawlowitsch bat den Fürsten um die Erlaubnis, ihn mit diesem Freund bekanntmachen zu dürfen; der Fürst verstand kaum, was man mit ihm vornehmen wollte; aber die Vorstellung kam doch zustande, beide verbeugten sich gegeneinander und reichten sich die Hand. Jewgeni Pawlowitschs Freund tat eine Frage; aber der Fürst antwortete, wie es schien, gar nicht darauf oder murmelte höchstens in so sonderbarer Weise etwas vor sich hin, daß der Offizier ihn mit einem prüfenden Blick scharf anschaute, dann nach Jewgeni Pawlowitsch hinsah, sogleich begriff, warum dieser den Einfall gehabt hatte, sie einander vorzustellen, leise lächelte und sich wieder zu Aglaja wandte. Nur Jewgeni Pawlowitsch nahm es wahr, daß Aglaja plötzlich darüber errötete.
Der Fürst bemerkte es gar nicht einmal, daß andere mit Aglaja sprachen und ihr den Hof machten; minutenlang vergaß er sogar, daß er selbst neben ihr saß. Manchmal befiel ihn ein Verlangen, irgendwohin wegzugehen, ganz von hier zu verschwinden; es hätte ihm sogar ein düsterer, öder Ort zugesagt, wenn er nur hätte mit seinen Gedanken allein sein können und niemand gewußt hätte, wo er sich befände. Oder wenn er wenigstens hätte bei sich zu Hause sein können, in der Veranda, aber so, daß niemand bei ihm wäre, weder Lebedjew noch die Kinder; dann hätte er sich auf sein Sofa geworfen, das Gesicht in das Kissen gedrückt und so einen Tag und eine Nacht und noch einen Tag dagelegen. In einzelnen Augenblicken traten ihm auch die Berge vor die Seele und namentlich eine ihm wohlbekannte Stelle in den Bergen, an die er immer gern zurückgedacht hatte; nach dieser Stelle war er gern hingegangen, als er noch dort wohnte, und hatte von da auf das Dorf hinabgeblickt und auf den nur schwach schimmernden weißen Faden des Wasserfalls da unten und nach den weißen Wolken da oben und nach der alten Burgruine. Oh, wie gern wäre er jetzt wieder dort gewesen und hätte an das Eine gedacht – oh! das ganze Leben über nur daran – und für tausend Jahre hätte er an diesem einen Gedanken genug gehabt! Hier hätte man ihn ganz vergessen mögen. Und das wäre sogar notwendig gewesen; und das beste wäre gewesen, wenn man ihn hier gar nicht gekannt hätte und das alles nur ein Traumbild gewesen wäre. Aber war es denn nicht ganz gleich, ob es ein Traum oder Wirklichkeit war? Manchmal begann er auf einmal Aglaja zu betrachten und konnte fünf Minuten lang seinen Blick nicht von ihrem Gesicht losreißen; aber sein Blick war sehr sonderbar; er schien sie so anzusehen, als wäre sie ein etwa zwei Werst weit von ihm entfernter Gegenstand, oder als wäre sie ihr Porträt und nicht sie selbst.
»Warum sehen Sie mich denn so an, Fürst?« fragte sie auf einmal, indem sie das heitere Geplauder und Gelache mit ihrer Umgebung unterbrach. »Ich fürchte mich vor Ihnen; ich habe immer die Vorstellung, Sie wollten die Hand ausstrecken und mein Gesicht mit dem Finger berühren, um es zu befühlen. Nicht wahr, Jewgeni Pawlowitsch, so sieht er mich an?«
Der Fürst hörte, wie es schien, mit Erstaunen, daß sich jemand an ihn wandte, überlegte das Gesagte, wiewohl er es vielleicht nicht ganz verstand, gab jedoch keine Antwort; aber als er sah, daß sie und alle andern lachten, öffnete er plötzlich den Mund und begann ebenfalls zu lachen. Das Gelächter ringsum wurde noch stärker; der Offizier, der offenbar ein lachlustiger Mensch war, schüttelte sich nur so vor Lachen. Aglaja flüsterte auf einmal zornig vor sich hin: »So ein Idiot!«
»O Gott! Kann sie denn wirklich so einen ... ist sie denn ganz verrückt geworden?« dachte Lisaweta Prokofjewna zähneknirschend im stillen.
»Das ist ein Scherz! Es ist derselbe Scherz wie damals mit dem ›armen Ritter‹«, flüsterte ihr Alexandra im Ton fester Überzeugung ins Ohr; »weiter nichts! Sie hat sich in ihrer Weise wieder über ihn lustig gemacht. Nur geht dieser Scherz zu weit; man muß ihn abkürzen, Mama! Vorhin hat sie uns wie eine Komödiantin eine Szene vorgespielt und uns aus Unart einen Schreck eingejagt ...«
»Es ist noch ein Glück, daß sie an einen solchen Idioten geraten ist«, flüsterte ihr Lisaweta Prokofjewna als Antwort zu.
Die Bemerkung der Tochter hatte ihr doch das Herz etwas leichter gemacht.
Der Fürst hörte, daß er ein Idiot genannt wurde, und fuhr zusammen, aber nicht infolge dieser Benennung (die vergaß er
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