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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ab.
    »Wie? Weißt du es etwa noch nicht? Kann man sich das vorstellen: er weiß es noch nicht! Er hat sich erschossen! Heute früh hat sich dein Onkel erschossen! Mir wurde es vorhin, um zwei Uhr, gesagt; aber jetzt weiß es schon die halbe Stadt; dreihundertfünfzigtausend Rubel Staatsgelder fehlen, wie es heißt; andere aber sagen: fünfhunderttausend. Und ich spekulierte immer darauf, daß er dir noch eine große Erbschaft hinterlassen werde; aber er hat alles durchgebracht. Ja, ja, der alte Mann führte ein ausschweifendes Leben ... Nun, lebe wohl, bonne chance! Also du fährst wirklich nicht hin? Da hast du ja noch glücklich zur rechten Zeit den Abschied genommen, du Schlaukopf! Ach, Unsinn, du hast es ja gewußt, hast es vorher gewußt: vielleicht wußtest du es schon gestern ...«
    Obgleich hinter dieser dreisten Zudringlichkeit und der öffentlichen Behauptung einer gar nicht existierenden Bekanntschaft und Intimität unbedingt eine besondere Absicht steckte und daran jetzt kein Zweifel mehr möglich war, so hatte Jewgeni Pawlowitsch doch zunächst noch geglaubt, er könne davonkommen, wenn er die Beleidigerin gar nicht beachte. Aber Nastasja Filippownas Worte trafen ihn wie ein Donnerschlag; als er von dem Tod seines Onkels hörte, wurde er kreidebleich und wandte sich zu der Überbringerin dieser Nachricht hin. In diesem Augenblick erhob sich Lisaweta Prokofjewna schnell von ihrem Platz, winkte allen, ihr zu folgen, und entfernte sich fast laufend. Nur Fürst Ljow Nikolajewitsch blieb noch einen Moment anscheinend unentschlossen auf seinem Platz, und Jewgeni Pawlowitsch stand immer noch wie besinnungslos da. Aber die Familie Jepantschin hatte sich noch nicht zwanzig Schritte entfernt, als sich eine furchtbare Skandalszene abspielte. Der mit Jewgeni Pawlowitsch gut befreundete Offizier, der sich mit Aglaja unterhalten hatte, war im höchsten Grad empört.
    »Da müßte man einfach eine Reitpeitsche nehmen; auf andere Art wird man mit diesem Geschöpf nicht fertig!« sagte er ziemlich laut. (Wie es schien, war er auch früher schon Jewgeni Pawlowitschs Vertrauter gewesen.)
    Nastasja Filippowna wandte sich augenblicklich zu ihm um. Ihre Augen funkelten; sie stürzte auf einen ihr ganz unbekannten jungen Mann los, der zwei Schritte von ihr entfernt stand und ein dünnes geflochtenes Spazierstöckchen in der Hand hatte, entriß es ihm und versetzte ihrem Beleidiger damit aus aller Kraft einen Schlag quer ins Gesicht. All dies vollzog sich in einer Sekunde ... Der Offizier, vor Wut außer sich, stürzte sich auf sie; ihr Gefolge hatte Nastasja Filippowna nicht mehr um sich; der anständige Herr in mittleren Jahren war bereits völlig verschwunden, und der angeheiterte Herr stand ein wenig abseits und lachte aus Leibeskräften. Eine Minute darauf wäre natürlich die Polizei erschienen; aber während dieser Minute wäre es Nastasja Filippowna schlimm ergangen, wenn ihr nicht eine unerwartete Hilfe gekommen wäre: der Fürst, der ebenfalls zwei Schritte davon entfernt stand, vermochte noch gerade den Offizier von hinten an den Armen zu fassen. Seinen Arm losreißend, versetzte ihm der Offizier einen starken Stoß gegen die Brust; der Fürst flog etwa drei Schritte zurück und fiel auf einen Stuhl. Aber nun erschienen bei Nastasja Filippowna bereits zwei Beschützer. Vor dem heranstürmenden Offizier stand der Boxer, der Verfasser jenes dem Leser bekannten Schmähartikels und aktives Mitglied der früheren Rogoschinschen Bande.
    »Keller! Leutnant a.D.«, stellte er sich in affektiert forscher Weise vor. »Wenn Ihnen ein Faustkampf gefällig ist, Hauptmann, so stehe ich als Vertreter des schwachen Geschlechts zu Ihren Diensten; ich verstehe mich vorzüglich auf die englische Boxkunst. Nehmen Sie es nicht übel, Hauptmann; ich bedaure die Ihnen angetane ›blutige‹ Beleidigung; aber ich kann nicht zugeben, daß jemand gegen eine Frau vor den Augen des Publikums vom Faustrecht Gebrauch macht. Wenn Sie aber, wie es sich für einen anständigen Mann schickt, die Sache in anderer Form zu erledigen wünschen, so ... Sie werden mich selbstverständlich verstehen, Hauptmann ...«
    Aber der Hauptmann war schon zur Besinnung gekommen und hörte nicht mehr auf ihn. In diesem Augenblick tauchte Rogoschin aus der Menge auf, reichte Nastasja Filippowna schnell den Arm und zog sie hinter sich her davon. Rogoschin selbst schien furchtbar aufgeregt zu sein; er war blaß und zitterte. Während er Nastasja Filippowna wegführte,

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