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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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der kommenden klassenlosen Welt oder dem rechtmäßigen Herrscher hinweggefegt zu werden. Weit davon entfernt, Normen, da sie doch nicht wahr seien, loswerden zu wollen, fordern sie zu ihrer bewußten Verwandlung in Gesetzesmaschinen auf, während Schmitt darin nur jüdische Verstocktheit, Foucault nur den universalistischen Trugschluß vom Naturrechtswahn verhexter Aufklärer erkennen kann. Schmitt leitet aus den Normen, die er ablehnt, die in seinen Augen böse Praxis der »Diskriminierung« des zum Verbrecher gemachten Feindes der »Herren der Lex« ab, Foucault aus dem Aufklärungsnormativismus, der Totalität utilitaristischer oder menschenrechtscodierter Normativität die Stigmatisierung, den Ausschluß und die Unterdrückung von für verrückt, krank oder kriminell Erklärten her.
     
    Daß Marx die Gesetze, von welchen die philosophes behaupteten, sie hätten sie in der Natur gefunden, ebenso als Interessenprodukte aufweist wie Schmitt und Foucault, Nietzsche und (auf verwickelte Weise, in der »Legitimität der Neuzeit«) noch ein so jeden Illiberalismus unverdächtiger Mensch wie Hans Blumenberg, ist also zwar richtig. Aber er tut dies im Verfolg eines Projekts, das im Gegensatz zu denen der genannten anderen, die alle seinen von Henning so bewunderten, von Lukács so grundsätzlich als Möglichkeitsbedingung des Marxismus postulierten Bruch mit dem Normenpositivismus und -realismus teilen, den Versuch, vernünftige Normen aufzustellen, nicht als grundsätzlich undurchführbar, sondern als zwar in der Klassengesellschaft augenwischerische und betrügerische, prinzipiell aber auch auf tragfähige Art umsetzbares Unternehmen. Marx will die notwendigen und hinreichenden realgeschichtlichen Bedingungen setzen (das heißt: denken und schaffen, im Probehandeln und im Handeln durchrechnen), die in der Naturwüchsigkeit der Entstehung des Kapitalverhältnisses zwar enthalten, von diesem aber nicht durchgesetzt worden sind.
     
    Wir können nun den Schleier des Geheimnisses von der »Totalität« und dem »Antinormativismus«, den beiden Konservierungsmitteln also, reißen, mit denen Lukács und Henning einen Marx, den sie historisch bereits halb für tot halten, für die Bibliotheken zurichten möchten: Die Lukácssche »Totalität« ist einfach ein nobilitierender Name für die heuristische Hauptnorm in allen Marxschen Arbeiten, nämlich das Postulat, alles am Sozialen sei verständlich, verstehbar, kein Denkverbot zu rechtfertigen, nichts am gesellschaftlichen Leben grundsätzlich opak (daß diejenigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die bestehenden Zustände zu rechtfertigen, hier das Gegenteil vertreten, und wie religiös das selbst bei geschworenen Immanenzlern gerät, haben wir im letzten Kapitel an Hayek und Mises demonstriert). Der Henningsche »Antinormativismus« wiederum ist ein panegyrisches Wort für Marxens schlichte Weigerung, sich etwas vorzumachen, dessen Vorbild man wohl am ehesten gerecht würde, wenn man einzusehen bereit wäre: daß etwas, das man will, nicht passiert, setzt zunächst einmal weder diesen Willen noch die Welt ins Unrecht, den Tatsachen der Vermittlung ist nicht über Ideale noch deren Negation (wie bei Nietzsches) zu entfliehen, die kognitiven Dissonanzen, die sich aus dem Abstand zwischen Sein und Sollen ergeben, sind nicht nach einer der beiden Seiten durch kontrollierten Kollaps der einen in die andere zu reduzieren, und das zugespitzteste Programm muß nicht aufgegeben werden, wenn die direkte Tatsachenbeobachtung seine immanenten Grenzen enthüllt, sondern läßt sich verbessern, wo man nicht die »erpreßte Versöhnung« des rein Gedachten anstrebt. Materialismus heißt, es gibt keine Ideen, die nicht mit Handlungen vermittelt sind; Praxis und Theorie ist nicht das Paar, das die Cartesische Dopplung von res cogitans und res extensa beerbt, sondern Praxis enthält beide Teile des neuen Paars: Handeln und Probehandeln mit jeweils unterschiedlichem Energieaufwand. Beide finden gleichzeitig im Raum der Gründe und Folgerungen wie im Raum der Ursachen und Wirkungen statt. Sie sind von Menschen hervorgebracht, und sie bringen Menschen hervor. Daß Marx so vieles richtig gesehen hat, befreit gerade nicht davon, sich damit auseinanderzusetzen, wie sein Programm verwirklicht werden kann.
    Geben wir aber mit dieser Feststellung nicht die Totalität der von Condorcet oder Hegel oder eben Marx geschaffenen Weltübersicht für lauter Veränderungsgewurstel preis, und treiben

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