Der Judas-Code: Roman
lief ihm über den Rücken.
In jener Stadt wurde das Tor zur Hölle aufgetan, doch ich bin mir nicht sicher, ob es je wieder zugesperrt wurde.
Als Gray zu dem zerstörten Altar hochschaute, begriff er die Wahrheit.
Das Tor war zugesperrt worden, Marco.
Jetzt aber hatten sie es wieder geöffnet.
10:36
Das Tuk Tuk hielt am Ende der befestigten Straße.
Lisa stieg aus.
Vor ihnen lag ein Platz, dessen Pflaster von den Wurzeln von Riesenbäumen unterwandert war. Dahinter ragte der Bayon-Tempel auf, eine vom Dschungel eingerahmte Ansammlung von Sandsteintürmen, bedeckt mit zerbröckelnden Steingesichtern, flechtenüberwachsen und voller Risse.
Auf dem Platz fotografierten einige Touristen. Zwei Japaner näherten sich dem Tuk Tuk und wollten das Fahrzeug, mit dem Lisa und Susan hergekommen waren, offenbar für sich reklamieren. Der eine Mann nickte Lisa zu. Er zeigte zum Tempel und sagte etwas auf Japanisch.
Lisa schüttelte bedauernd den Kopf; sie verstand kein Wort.
Er lächelte scheu, neigte abermals den Kopf und sagte auf Englisch: »Geschlossen.«
Geschlossen?
Lisa half Susan, die noch immer von Kopf bis Fuß in die Decke gehüllt war, beim Aussteigen. Nur die Sonnenbrille lugte aus der Vermummung hervor. Lisa, die Susan am Ellbogen stützte, spürte ihr Zittern.
Der Tourist deutete aufs Tuk Tuk und bat wortlos um die Erlaubnis, darin Platz nehmen zu dürfen. Lisa nickte und stolperte mit Susan über den unebenen Platz. Auf dem Tempelgelände machte Lisa Männer aus, die an Türmen lehnten, über Durchgängen standen und auf den Mauern patrouillierten. Alle trugen Khakiuniformen und schwarze Barette.
War das die kambodschanische Armee?
Susan zerrte sie weiter und marschierte zielstrebig aufs Osttor zu. Zwei Männer mit Baretten hielten davor Wache. Sie hatten Gewehre geschultert. Abzeichen hatten sie keine. Die eine Gesichtsseite des Mannes zur Linken, offenbar ein Kambodschaner, war von Kratznarben entstellt. Der andere, ein Westler, hatte ledrige Haut und einen ungepflegten Bart. Beide Männer musterten sie mit diamanthartem Blick.
Das waren keine regulären Soldaten.
Sondern Söldner.
»Die Gilde!«, flüsterte Lisa eingedenk Painters Bericht von Grays Gefangennahme. Sie war bereits hier.
Lisa wollte Susan festhalten, doch die riss sich los und ging weiter.
»Susan, du darfst nicht noch einmal in die Hände der Gilde fallen«, sagte Lisa.
Zumal Monk sein Leben bei der Rettungsaktion gelassen hat.
Susans Stimme wurde von der Decke gedämpft, hatte aber einen entschlossenen Klang. »Keine andere Wahl... Ich muss... Ohne das Heilmittel ist alles verloren...« Susan schüttelte den Kopf. »... eine einzige Chance. Das Heilmittel muss vollendet werden.«
Lisa begriff. Sie dachte an Deveshs Warnung und an Painters Bestätigung. Die Pandemie breitete sich bereits aus. Die Welt brauchte das Heilmittel, bevor es zu spät war. Selbst auf die Gefahr hin, dass es der Gilde in die Hände fiel, musste es vollendet werden. Mit den Folgen konnten sie sich anschließend befassen.
Aber dennoch...
»Bist du dir sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt?«
Susans Stimme zitterte vor Angst und Sorge. »Bei Gott, ich wünschte, es gäbe sie. Aber vielleicht ist es auch schon zu spät.« Behutsam löste sie Lisas Hand von ihrem Ärmel und stolperte weiter; offenbar wollte sie das Tempelgelände allein betreten.
Lisa folgte ihr. Auch sie hatte keine Wahl.
Sie näherten sich dem bewachten Tor. Lisa hatte keine Ahnung, wie sie sich Zugang zum Tempel verschaffen sollten.
Susan aber hatte anscheinend einen Plan.
Sie ließ die Decke bis auf die Knöchel herabfallen. Im hellen Sonnenschein sah sie aus wie jedermann, allenfalls etwas heller, denn ihre Haut war dünn und blass. Sie nahm die Sonnenbrille ab und wandte das Gesicht in die Sonne.
Susan zitterte am ganzen Leib, denn der blendend helle Sonnenschein drang jetzt ungefiltert in die Pupille ein und wurde über den Sehnerv ins Gehirn weitergeleitet.
Doch das reichte anscheinend noch nicht.
Susan riss sich die Bluse herunter und setzte eine noch größere Hautfläche der Sonneneinstrahlung aus. Sie knöpfte die Hose auf, die ihr auf die Knöchel fiel, denn nach dem wochenlangen Stupor war sie stark abgemagert. Nur mit BH und Slip bekleidet, näherte sie sich dem Tor.
Die Wachposten wussten nicht, was sie von der halbnackten Frau halten sollten. Gleichwohl verstellten sie ihr den Weg. Der Kambodschaner winkte energisch mit der Hand und sagte mit
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