Der Kaiser des Abendlandes
deswegen nicht verzweifelt.«
»Ich bin nicht verzweifelt«, bekannte Sean, »sondern unsicher. Ich frage mich immer wieder, wie es enden wird. Du, Mariam, der Kaiser, Elazar, die Stadt, unsere Freundschaft… was soll daraus werden?«
Inzwischen hatte sich die Nacht über die Stadt gelegt. Stern um Stern erschien, und der gestirnte Himmel erwartete die abnehmende Scheibe des Mondes. Lichter erschienen in den Fenstern der Häuser, in deren Innerem der Lärm und alle anderen Geräusche leiser wurden. Suleiman hob die Hand und bewegte die Finger, als ob er etwas abzählte.
»Du willst also ein Ziel finden, etwas Erstrebenswertes in der weiten Ferne deines Lebens sehen – und daran mangelt es dir heute?«
»Das ist es, Suleiman!«, rief Sean unterdrückt. »Du hast es auf den Punkt gebracht.«
»Und dabei sind Mariam als deine versprochene Braut, Layla als deine unerreichbare Geliebte und der Beruf als Handelsmann von nur geringer Wichtigkeit. Oder von großer Nichtigkeit.«
»Abermals wohlgesprochen!«, knirschte Sean. »Wenigstens du verstehst mich.«
»Mehr und besser, als du glaubst«, sagte Suleiman leise und streckte den Arm aus. »Für dich und mich gilt eine besondere Wahrheit. Jung, wie wir sind, können wir nur auf eines vertrauen.«
»Worauf?«, fragte Sean.
»Dass der Weg, oder die vielen möglichen Wege, schon das Ziel sind. Nicht einmal Henri kennt sein Ende, das Ziel seines langen Lebens.« Suleiman legte tröstend seinen Arm um Seans Schultern und zog ihn fest an sich. »Auch der weise Joshua nicht, obwohl er in seinem Glauben fest wie ein Fels ist. Wir werden, weil wir jung sind und kämpfen können, alle Widrigkeiten besiegen. Glaub’s mir!«
»Hoffentlich. Inshallah!«, antwortete Sean. »Worauf zeigst du mit deinem schmutzigen Finger?«
»Auf einen Händler, der wahrscheinlich betrunken und ein willkommenes Opfer für die Nachtgeister ist. Eine Aufgabe für uns, Sean!«
Sie standen gleichzeitig auf und bewegten sich auf die zerbröckelnde Treppe zu, die vom Dach in den Raum zwischen zwei Häusern hinunterführte.
»Für das Schwert, das den Armen hilft.«
»Ich sehe den reichen, betrunkenen Händler noch nicht«, bemerkte Sean. »Aber wenn es so weit ist, werden wir ihm helfen.«
Vorsichtig und lautlos balancierten sie die durchgetretenen, bröselnden Stufen hinunter und verschmolzen ungesehen mit der Dunkelheit zwischen Mauern und Wänden.
Als Abdullah in das graue, stoppelige Gesicht des übermüdeten Hasan blickte und das breite Grinsen sah, wusste er, dass er heute hören würde, was er seit langem zu erfahren wünschte. Hasan rieb mit den nassen Zeigefingern seine rot unterlaufenen Augen und gähnte.
»Du hast es also herausgefunden?«, erkundigte sich Abdullah. »Das Haus, in dem sich unser junges Söhnchen mit der Christin trifft?«
Hasan schüttelte den Kopf. Um seinen Hals strudelte das Badewasser.
»Suleiman habe ich nicht gesehen. Er ist schlauer als ich und kennt die besseren Verstecke.« Er schnaubte Wasser aus seinen Nasenlöchern. »In diesem Gewitter, vor einiger Zeit, da wäre ich in einem leeren Kanal beinahe ersoffen.«
»Inzwischen bist du wieder trocken und abermals nass«, antwortete Abdullah und machte eine wegwerfende Bewegung. »Suleiman hast du also noch nicht ausgespäht. Was aber sonst?«
»Die schöne Ungläubige. Die Christin.«
»In ihrem Haus beim Fischmarkt?«
»Das sie hin und wieder verlässt.« Hasan nickte langsam und ermattet. »Sie geht ins Haus eines uralten Muslims. Mit einer Dienerin.«
Abdullah und Hasan saßen im dampfenden Wasser des Bades und ließen die Wärme auf ihre Körper wirken. Um den Hals hatten sie weiße Tücher gelegt, die inzwischen feucht geworden waren. In eisernen Schalen schwelten über Holzkohlenglut duftende Kräuter und Weihrauchkörnchen, die das Atmen leichter machten und den Gedanken mehr Leichtigkeit verliehen. Trotzdem war Hasan deutlich anzusehen, dass er erschöpft war. Seine leisen Worte klangen schläfrig und undeutlich.
»Habe ich richtig gehört?«, bohrte Abdullah beharrlich nach. »Die Christin verlässt ab und zu ihr Haus und geht zu einem Muslim? Weißt du genau, dass es die Ungläubige ist, Mariam, die Angebetete Suleimans?«
Hasans Kopf sank wieder kraftlos nach vorn. »Sie geht zu einem Gelehrten«, sagte er undeutlich. »Dort lernt sie unsere Sprache. Obwohl – sie und die Dienerin haben miteinander geredet. Sie kann’s recht gut.«
»Es ist also wirklich die Frau, die Suleiman
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