Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
Territoriums gegangen, schlimmstenfalls um Vergeltung für viel grausamere serbische Verbrechen. »Deshalb kommen hier kaum Fälle vor Gericht, bei denen es um Kriegsverbrechen von Kroaten geht. Jutarnji List zufolge sind das nur zwei Prozent aller Verfahren, und das liegt nicht an der Relation, sondern am politischen Willen. Sollten Gotovina, Čermak und Markać im Dezember freigesprochen werden, wird Kroatien den ICTY vielleicht überhaupt nicht mehr unterstützen. Denn ein Freispruch würde bedeuten: Wir Kroaten haben keine Kriegsverbrechen begangen.«
    »Sie rechnen tatsächlich mit einem Freispruch?«
    Mayr zuckte die Achseln. »Ich rechne mit fünf Jahren für Gotovina, so lange saß er in Untersuchungshaft. Am Tag nach der Urteilsverkündung ist er frei, und dann wird es jeder, der kroatische Kriegsverbrechen untersucht, noch schwerer haben. Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihnen noch sechs, sieben Wochen bleiben, um herauszufinden, wer Ihr Kapetan ist.«
    »Er ist nicht mein Kapetan.«
    »Wie auch immer.« Mayr schlug die Akte auf. »Ich habe vielleicht was für Sie. Haben Sie von Zadolje gehört?«
    »Nein.«
    »Ein Dorf von zwanzig Häusern im Dreieck Knin, Benkovac und Gračac, südliche Krajina.«
    Ahrens nickte. Der Sektor Süd während der Operation »Sturm«, Befehlsbereich Ante Gotovinas.
    In Zadolje, fasste Mayr zusammen, während sie hin- und herblätterte, hatten im Juli 1995 fünfundvierzig Menschen gelebt, alle Serben. Nach Beginn der kroatischen Militäraktion am 4. August waren die meisten von ihnen nach Bosnien geflohen, sechs überwiegend ältere waren geblieben. Am 25. August rückten einige Trupps der kroatischen Armee, außerdem Sonderpolizisten des Innenministeriums in Zadolje ein. Sie brannten einen Großteil der Gebäude nieder und töteten die serbischen Zivilisten. Fünf hatten sich in Häusern versteckt – zwei Frauen, einundfünfzig und neunzig Jahre alt, drei Männer, fünfundvierzig, fünfundsechzig und achtzig. Kopfschüsse, drei Opfern war die Kehle durchgeschnitten worden. Der sechste, ein achtundsiebzigjähriger Mann, lag auf der Straße, zwei Einschusswunden im Gesicht, eine von einem aufgesetzten Schuss in die Stirn, die andere Kugel abgefeuert, als er schon auf dem Boden gelegen haben musste.
    Zufällig kamen am Tag darauf Menschenrechtsbeobachter der UNO in den Ort. Nur deshalb waren die Morde von Zadolje zeitnah und genauestens dokumentiert worden.
    »Kalt, nicht wahr?«, fragte Mayr und war schon am Fenster, um es zu schließen.
    Ahrens nickte. »Haben Sie die Namen der Mörder?«
    »Wir sind ziemlich sicher, dass die Serben von einem Polizisten und einem Soldaten getötet worden sind. Drei der eine, drei der andere. Den Namen des Polizisten kennen wir, er trat zwei Tage später auf eine serbische Mine und flog in die Luft, was sehr praktisch, aber natürlich unbefriedigend ist.« Sie hob einen Finger in Richtung Wand. »Bebić. Wer der andere Mörder ist, wissen wir noch nicht. Es muss Zeugen geben, aber wir kommen nicht an sie heran. Polizei und Armee weigern sich, die Namen der Männer rauszugeben, die in Zadolje waren.«
    »Zu welcher Einheit gehörte der Soldat?«
    »134. Heimatschutz-Regiment.«
    »Und Sie vermuten …« Ahrens beendete den Satz nicht.
    Das Datum, dachte sie.
    Der Überfall auf Zadolje hatte sich am 25. August 1995 ereignet. Ihr Blick fiel auf das Foto des Kapetan und die Bildunterschrift. 25.8.95, bei Knin: Ein serbischer Schlächter zittert vor der gerechten Strafe durch den jungen Kapetan.
    »Das Datum, ja.« Mayr rollte dicht an den Schreibtisch heran, legte die Arme auf die Unterlagen, in der Rechten die Zigarette, in der Linken das Feuerzeug. Sie wisse aus Unterlagen des ICTY , dass das 134. ein Problemregiment gewesen sei. Die Befehlskette habe nicht funktioniert, es sei zu Plünderungen, Brandstiftung und anderen Verbrechen gekommen. »Und noch was.« Sie zog eine Fotografie aus der Akte – eine kleine, teilweise gesprengte Kirche mit geschwärzten Mauern. »Die orthodoxe Kirche von Zadolje.«
    Ahrens verglich sie mit der Ruine hinter dem Kapetan und seinem Opfer. »Könnte sein, oder?«
    Mayr nickte.
    »Also doch kein Serbe.«
    »Nein, nein, der Serbe war ein Test.« Mayr lachte. Sie kategorisiere, sagte sie, ausländische Journalisten in »Serbenjäger«, »Kroatenjäger« und »Wahrheitsjäger«. Die ersten beiden seien ihr suspekt. Ganz gleich, was sie fänden – seien sie Serbenjäger, »belege« es Verbrechen der Serben,

Weitere Kostenlose Bücher