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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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mir.«
    »Nein«, sagte Scherfele. »Du zu mir. Wer als Bernhardi?«, fragte Scherfele nach kurzer Pause.
    »Felix, wer sonst?«
     
    Der Text von Gaspari war eingetroffen, Schönns Sekretärin hatte ihn gleich an die Dramaturgie weitergegeben. Scherfele stand mit dem Manuskript in der Hand vor Schönns Schreibtisch.
    »Gelungenes Textchen. Allerdings kein Prolog, sondern die Pförtnerszene, bummbummbumm. Pfeffer.«
    Schönn nahm das Manuskript an sich, schlug es an seiner Schreibtischkante ab, führte es zu seinem linken Ohr und lauschte.
    »Gebongt«, sagte er und gab es Scherfele zurück.
    Die Proben zu Professor Bernhardi waren schwierig. Dauendin, der so lange gehungert und gedürstet hatte, fraß sich satt. Er betrat die Bühne und drückte alle anderen an die Wand. Bloß Fraul als Hochroitzpointner konnte Paroli bieten. So mussten Fraul oben, Schönn und Scherfele unten vehement gegen die ungeheure Spielwut von Dauendin ankämpfen, damit die Ebenwalde, Cypriane, Filitze und alle anderen Doktorenfiguren die Chance bekamen, mehr als bloß zu piepsen. Da Felix aber auch den Macbeth in der Wiederaufnahme furios und bis zur Erschöpfung aus sich herausteufelte, konnte er auf der Probebühne schließlich doch etwas gedämpft werden, und Schönn sah der Premiere mit Optimismus entgegen.
    3.
    Boaz Samueli erwartete Edmund Fraul, damit dieser im Club Diderot seinen Vortrag über »Auschwitz einst und heute« zum Besten gebe. Samueli fand, jetzt, da der kleine Leutnant zum Bundespräsidenten gewählt worden war, sei es nötig, in aller Breite Zeitzeugen, die ein möglichst authentisches Bild von den Segmenten der Nazibarbarei lieferten, in den Club zu bekommen. Eine neue Generation sei herangewachsen, für die Auschwitz so weit weg sei wie Metternich, wie der Dreißigjährige Krieg, »wie Babylon«, fügte er lächelnd hinzu.
    »Er wird immer wieder dasselbe sagen«, sagte ich. Wir saßen im Café Riedel.
    »Sag, Roman, ist es nicht Frauls Spezialität, sich auszumalen, wie du und ich und er und sie sich damals verhalten hätten?«, erkundigte sich Boaz. »Du hast ja etliche Mal mit ihm gesprochen.«
    »Etliche Mal! Zwei Mal! Und das zweite Mal war nicht so erfreulich.«
    »Willst du sagen, er ist eine Holocaust-Walze?«
    »Aber geh, was redest du«, sagte ich unangenehm berührt. »Er erzählt, was zu sagen ist, und das ist nunmal so und nicht anders.«
    »Er denkt sicher, wenn Wais Gelegenheit gehabt hätte, in Auschwitz Dienst zu tun, wie hätte er sich dann verhalten?«
    »Frag ihn selber. Da kommt er.«
    Wir standen auf, begrüßten Edmund Fraul, der wie vereinbart eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung im Riedel erschienen war. Boaz lachte übers ganze Gesicht, als er Fraul willkommen hieß, und wie er sich freue und wie wichtig gerade jetzt dieser Vortrag eben zum richtigen
Zeitpunkt erfolge, denn für die Menschen seiner Generation, Samueli deutete auf sich, sei der Holocaust so weit weg wie der Dreißigjährige Krieg. »So weit weg wie Babylon«, endete er, indes Fraul Platz genommen hatte. Im Sitzen schaute Fraul suchend herum, aber Samueli hatte schon den Ober herbeigewunken. Erst nachdem der Mokka gekommen war, gab mir Fraul die Hand, als hätte er mich soeben erst bemerkt.
    »Was glauben Sie«, fragte ich ihn nach schnell gemurmelter Begrüßungsfloskel, »wie hätte sich unser Herr Bundespräsident verhalten, wenn er nach Auschwitz abkommandiert worden wäre?«
    Fraul sah mir ins Gesicht.
    »Sie sind jetzt also auch beim Club? Das könnte mich freuen. Es bedarf eines solchen Präsidenten, damit ihr was tut, nicht?«
    »Da haben Sie recht«, sagte Samueli schnell. »Johann Wais funktioniert als unfreiwillige Aufklärungsmaschine. Darf ich Sie übrigens so einleiten? Liebe Freunde, Wais ist Präsident. Nun werdet ihr wohl genauer hinhören, wenn Edmund Fraul, Überlebender von Auschwitz, berichtet, was der Fall war.«
    »Leiten Sie mich ein, wie Sie wollen.« Fraul wandte sich an mich.
    »Was ist das für eine Fragestellung? Soll ich mich bei euch in Spekulationen ergehen? Wais ist ein Lügner, ein Opportunist, und somit kann er ein Wegbereiter für neuerliche Barbareien sein. Er symbolisiert, dass all das, was geschah, irgendwie auch selbstverständlich war und in der Bandbreite eines anständigen und pflichtbereiten Staatsbürgers lag.« Er trank den Mokka aus, schaute auf die Uhr. »Und so war es auch«, schloss er und erhob sich. »Darüber werde ich nicht sprechen. Fangen wir an?«
    Wir gingen

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