Der Ketzerlehrling
wütender Mann vielleicht nicht auf irgendwelche Worte warten, sondern sofort zustoßen. In den Rücken? Nein, das war unmöglich. Daß Elave seinen Ankläger umgebracht hatte, mochte der erste Gedanke sein, der sich anderen aufdrängte, aber Cadfael verwarf ihn. Nicht nur, weil er den jungen Mann mochte, sondern weil er keinen Sinn ergab.
Hugh traf gegen Ende des Kapitels ein, allein und – zu Cadfaels tiefer Erleichterung – vor irgendwelchen anderen und möglicherweise unsachgemäßen Berichten. In der Regel machten Gerüchte in der Stadt und in der Vorstadt so schnell die Runde, daß er damit gerechnet hatte, daß die Nachricht von Aldwins Tod mit unerwünschter Geschwindigkeit und erheblicher Ausschmückung der einfachen Tatsachen auch in die Abtei gelangen würde. Aber das war nicht geschehen. Hugh konnte die Geschichte auf seine Art erzählen, und zwar in Abt Radulfus’ Sprechzimmer, in Gegenwart Cadfaels, der sie bestätigen und ergänzen würde. Und der Abt sprach nicht das aus, was jeder andere unfehlbar sehr bald ausgesprochen hätte. Statt dessen fragte er: »Wer hat den Mann zuletzt lebend gesehen?«
»Soweit wir bisher wissen«, sagte Hugh, »die Leute, die sahen, wie er gestern nachmittag das Haus verließ. Jevan von Lythwood, der, wie Bruder Cadfael mir berichtete, heute morgen hier erschien, um sich nach ihm zu erkundigen, noch bevor ich ihm die Nachricht vom Tode des Mannes überbringen konnte. Die Ziehtochter Fortunata, die gestern hier als Zeugin aussagte. Die Dame des Hauses. Und der Hirte Conan. Aber das war am hellichten Tag. Er muß noch von anderen gesehen worden sein, am Stadttor, auf der Brücke, hier in der Vorstadt oder wo immer er hingegangen ist. Wir werden jedem seiner Schritte nachforschen und versuchen, die Zeit bis zu seinem Tod auszufüllen.«
»Aber wann der eingetreten ist, wissen wir nicht«, sagte Radulfus.
»Nein, wir können es nur vermuten. Aber Madog ist der Ansicht, daß er erst in den Fluß geworfen wurde, als es dunkel war, und daß er nach seiner Ermordung bis zum Einbruch der Nacht irgendwo versteckt worden ist – zwei oder drei Stunden vielleicht, aber das wissen wir nicht. Meine Männer sind unterwegs und suchen nach irgendwelchen Spuren an der Stelle, wo er gelegen haben mag. Wenn wir die Stelle finden, dann finden wir auch die, an der er ermordet wurde; sie kann nicht weit davon entfernt sein.«
»Und der ganze Lythwood-Haushalt stimmt darin überein, daß der Schreiber, als er gehört hatte, daß der junge Mann ihn nicht aus seiner Stellung verdrängen wollte, sich auf den Weg hierher machte, um zu gestehen, daß er aus Bosheit gehandelt hatte, und seine Anklage zurückziehen wollte?«
»So ist es. Außerdem sagte die junge Frau, daß sie sich in dem Wäldchen, nicht weit von der Brücke entfernt, von Elave getrennt und Aldwin das mitgeteilt hätte. Sie glaubt, daß er so eilig aufbrach, weil er hoffte, ihn noch einzuholen. Sie sagte außerdem«, erklärte Hugh mit Nachdruck, »sie hätte Elave gedrängt, die Flucht zu ergreifen, aber er hätte sich geweigert.«
»Dann entspricht das, was er getan hat, seiner eigenen Aussage«, gab Radulfus zu. »Und sein Ankläger war im Begriff zu gestehen und um Verzeihung zu bitten. Ja, das spricht dagegen«, sagte er, wobei er Hugh eindringlich musterte.
»Es gibt andere, die behaupten, es spräche dafür. Und ich muß sagen«, räumte Hugh ein, »auch dieser Standpunkt hat etwas für sich. Er lief frei herum, er hatte guten Grund, dem Mann zu grollen. Wir kennen sonst niemanden, der Veranlassung hatte, sich Aldwins zu entledigen. Er brach auf, um Elave zu treffen, draußen im Wäldchen. Außer Sichtweite von anderen. Oberflächlich gesehen paßt alles nur zu gut zusammen. Der Leichnam muß unterhalb der Brücke ins Wasser geworfen worden sein, und in der Gaye gibt es sonst kaum irgendwelche Deckung.«
»Alles wahr«, sagte Radulfus. »Aber ebenso wahr ist, wie ich glaube, daß der junge Mann, wenn er gemordet hätte, kaum aus freien Stücken in die Abtei zurückgekehrt wäre. Er hat es aber getan. Außerdem – wenn der Tote erst nach Einbruch der Dunkelheit in den Fluß geworfen wurde, kann Elave das nicht getan haben. Denn wir wissen, wann er hierher zurückgekehrt ist. Es war während des Läutens der Vesperglocke. Das beweist nicht zweifelsfrei, daß er nicht der Mörder war, aber es stellt es zumindest in Frage. Nun, wir haben ihn sicher untergebracht.« Er lächelte ein wenig ingrimmig. Eine steinerne
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