Der Kinderdieb
sogar noch größer als die meisten Menschen, die Peter gesehen hatte, und er hatte einen mächtigen Brustkorb und kräftige Arme. Doch es waren seine Augen, die Peter festhielten. Diese dunklen, grimmigen Augen würde er nie vergessen.
»Ulfger«, zischte Peter und versuchte zu begreifen, wie aus dem hochgewachsenen Jungen dieser riesige, grobschlächtige Mann geworden war. Der Ulfger, der vor ihm stand, hatte einen struppigen, zu einem Knoten gebundenen Ziegenbart und dichte, dunkle Augenbrauen. Er trug eine rotgoldene Tunika mit einem schwarzen Elchkopf auf der Brust, kurze schwarze Lederhosen, kniehohe Stiefel und ein langes Breitschwert an der Seite. Er hatte sich das Haar lang wachsen lassen und es am Scheitel geteilt, sodass es ihm zu beiden Seiten des Kopfes gerade herabhing und seine Ohren verdeckte.
Vielmehr sein eines Ohr
, dachte Peter.
Ulfger starrte ihn an wie ein Mann, der gerade einen Topf mit Gold gefunden hatte. Er stieß ein lautes Lachen aus. »Das kann nicht sein. Avallach hat mir ein Geschenk gebracht. Schau einer an.« Er lachte erneut, diesmal lauter. »Du bist noch immer ein elender, rotznasiger kleiner Lümmel.« Er schüttelte höhnisch grinsend den Kopf. »Das ist dein Menschenblut. Avallach hat all jene verflucht, die nicht hierhergehören.«
Ulfger gab den beiden Elfen ein Zeichen, und sie zogen lange Messer und schlüpften zu beiden Seiten des Pfads ins Unterholz.
Peter wich zurück, wobei er die Elfen nicht aus den Augen ließ und nach einem Fluchtweg Ausschau hielt.
»Dir fehlt offensichtlich jeder Verstand«, rief Ulfger. »Sonst hättest du Avalon längst verlassen. Ich muss allerdings zugeben, dass es mir eine große Freude ist, dich hier vorzufinden,noch dazu lebendig. Andernfalls wäre ich des Vergnügens beraubt, dich zu töten.«
Ulfger zog sein Schwert und ging lässig auf Peter zu. Die Muskeln, die an den Armen des Riesen spielten, waren ebenso wenig zu übersehen wie der Umstand, dass er das schwere Breitschwert trug, als hätte es nicht das geringste Gewicht. Auf einmal fühlte Peter sich winzig klein und verwundbar, und zum ersten Mal war er neidisch darauf, dass andere Leute erwachsen wurden, neidisch auf Ulfgers Kraft und Stärke.
»Haltet euch zu seinen Flanken«, rief Ulfger mit tiefer, donnernder Stimme. »Lasst ihn nicht in unseren Rücken kommen. Vergesst nicht, dass
ich
ihn töten werde!«
Peters Blick fiel auf den Speer, den einer der Elfen auf ihn geworfen hatte. Er lag neben seinem Fuß auf dem Boden. Er hakte die Zehen darunter, warf ihn hoch, fing ihn auf und schleuderte ihn Ulfger entgegen.
Ulfger zuckte kaum mit der Wimper und schlug den Speer einfach mit seinem Schwert beiseite. Dann lachte er laut. »Gut, eine kleine Herausforderung macht es nur schöner!«
Peter drehte sich um und rannte los. Er verlor die Elfen im Unterholz aus den Augen, doch er wusste, dass sie mithielten. Hinter sich hörte er Ulfger über den Pfad brechen. Peters Herz pochte in seiner Brust, und erneut verspürte er die Angst des gejagten Wilds. Es war die gleiche Angst, die er verspürt hatte, als die Männer ihn zu Golls Hügel zurückgejagt hatten – fast war ihm, als hätte er nie aufgehört zu rennen.
Zu einer Seite des Pfads wurde der Wald lichter. Am Fuß einer steilen Böschung sah Peter einen Sumpf und Schilfgras.
Das Gras
, dachte Peter,
im Gras kann ich sie abhängen
. Er verließ den Pfad und rannte den Hang hinab. Ein Elf sprang ihm in den Weg, und Peter hatte keine Zeit, etwas anderes zu tun, als direkt mit ihm zusammenzuprallen. Peter hörte ein schmerzhaftes »Uff«, als sie zu Boden fielen. Er landete obenauf undwollte sich freimachen, doch der Elf packte ihn am Arm und hielt ihn fest. Peter stieß ihm einen Daumen ins Auge, riss sich los und kam gerade auf die Beine, als ein großer schwarzer Stiefel ihn in der Körpermitte traf. Peter flog durch die Luft und prallte gegen einen Baum. Er hörte Ulfger lachen und erhaschte einen kurzen Blick auf den grinsenden Hünen, bevor dieser ihn ins Gesicht schlug, genau zwischen die Augen. Peter wirbelte um die eigene Achse, verlor den Halt und setzte sich auf den Hintern.
Ulfger packte Peter bei den Haaren. Er zog ein schartiges Jagdmesser und hielt es ihm vor die Nase. »Wie wär’s, wenn wir mit einem Ohr anfangen, hä?«
Peter packte Ulfgers Hand und biss fest zu. Er spürte, wie Adern unter seinen Zähnen platzten, und schmeckte Blut.
Ulfger jaulte, riss seine Hand weg und ließ sowohl seinen Gegner als
Weitere Kostenlose Bücher