Der Knochenbrecher
durch seine Adern floss.
»Das ist doch total bekloppt«, murmelte er, bevor er den Druckbefehl eingab. Er ging, um seinen Ausdruck einzusammeln, und kehrte danach an seinen Platz zurück. Jetzt war Laura Mitchell dran.
Eine weitere Stunde später hatte er sämtliche Laura-Mitchell-Interviews gelesen. Fehlanzeige.
»Mist, verdammter!«, fluchte er halblaut. Seine Augen waren müde und tränten. Er brauchte dringend eine Pause, einen Kaffee und eine Advil.
Plötzlich schoss ihm ein verrückter Gedanke durch den Kopf. Er blieb sitzen und wägte die Alternativen ab.
»Ach, was sollâs«, meinte er schlieÃlich. Einen Versuch war es allemal wert.
Garcia würde nirgendwo eine umfangreichere Sammlung von Artikeln über Laura Mitchell finden als im dunklen Collagezimmer in James Smithâ Wohnung. Smith schien alles aufgehoben zu haben, was jemals über sie veröffentlicht worden war. Er befand sich noch immer in Polizeigewahrsam, und seine Wohnung war im Rahmen der laufenden Ermittlungen versiegelt worden.
Garcia stand im Türrahmen des schwach beleuchteten Raums und starrte auf die Zeitschriftenstapel.
»O mein Gott«, stöhnte er. »Das wird eine Ewigkeit dauern.«
Am Ende waren es bloà zwei Stunden und drei Zeitungsstapel. Laura Mitchell hatte ihr letztes Interview vor elf Monaten in Contemporary Painters gegeben. Der Artikel war klein â nicht mal fünfzehnhundert Worte.
Als Garcia an die relevante Stelle kam, hätte er sich um ein Haar verschluckt.
»Ich fasse es nicht â¦Â«
Jedes Haar an seinem Körper stand zu Berge. Das konnte kein Zufall sein. Solche Zufälle gab es nicht.
Gerade als er aus dem Gebäude eilte, klingelte das Handy in seiner Hosentasche. Er warf einen Blick aufs Display, bevor er antwortete.
»Robert, ich wollte dich gerade anrufen. Du glaubst nicht, was ich rausgefunden habe â«
»Carlos, hör zu«, unterbrach Hunter ihn hastig. »Ich glaube, ich weiÃ, wer er ist.«
»Was? Im Ernst? Wer?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht mehr unter seinem richtigen Namen lebt, aber ursprünglich hieà er Andrew Harper. Du musst sofort in der Einsatzzentrale anrufen und der Recherche-Einheit Bescheid sagen. Wir brauchen alles, was über ihn zu finden ist.«
Garcia verlangsamte seine Schritte und runzelte die Stirn. Er versuchte, den Namen einzuordnen. »Warte mal kurz«, meinte er schlieÃlich. »Ist das nicht der Name des Jungen, von dem Stephen uns am Telefon erzählt hat? Der, der von seinem Vater ermordet wurde?«
»Ja, das ist er, aber ich glaube, er wurde an dem Tag gar nicht ermordet.«
»Noch mal von vorn.«
»Ich glaube, er hat irgendwie überlebt. Und ich glaube, er war im Haus, als es passiert ist, Carlos.«
»Was?«
»Ich erkläre dir alles, wenn ich wieder da bin, ich stehe gerade am Flughafen. In etwa zwei Stunden lande ich auf dem LAX . Ich glaube, der Junge hat sich im Haus versteckt gehalten.«
»Nicht dein Ernst.«
»Er hat gesehen, wie sein Vater seine Mutter brutal misshandelt hat. Wie er sie zugenäht hat, wie er mit ihrem Blut eine Botschaft an die Wand geschrieben und sie dann getötet hat, bevor er sich selbst den Kopf wegschoss â¦Â«
Garcia schwieg.
»Ich glaube, er musste damals alles mit ansehen. Und jetzt wiederholt sich die Geschichte.«
100
Wolken ballten sich am Himmel, als Andrew Harpers Lieferwagen in nördliche Richtung auf den State Highway 170 einbog. Vor ihm fuhr ein brauner Kombi, auf dessen Rückbank ein neunjähriger Junge saà und ihm ausÂgelassen zuwinkte. In der Hand hielt er eine Eiswaffel. Andrew brauchte keine Hilfen, um sich jenen Tag vor all den Jahren ins Gedächtnis zu rufen. Die Erinnerungen waren allgegenwärtig. Aber beim Anblick des Kindes mit seiner Eiswaffel ging ein Zucken durch seinen Körper wie bei einer Kuh, die eine Bremse verscheuchen will, so heftig Âwaren die Bilder, die auf ihn einströmten. Schlagartig war es wieder Sonntagmorgen, und er saà im Pick-up seines ÂVaters. Sie waren nur ein paar Blocks gefahren, bevor sein Vater an der Tankstelle haltgemacht hatte.
»Ich habe eine Ãberraschung für dich«, verkündete Ray Harper und drehte sich zu Andrew um, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saÃ. Seine Lippen waren zu einem Lächeln verzogen, doch seine Augen straften dieses Lächeln
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