Der Kommandant und das Mädchen
um und sieht mein blasses Gesicht. “Hier.” Jetzt bringt sie mir ein Glas Wasser, das ich dankbar austrinke und ihr zurückgebe. Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken und atme tief durch. Ausgerechnet den heutigen Abend muss ich mir aussuchen, um zu viel zu trinken!
Elżbieta stößt mich an der Schulter an. Als ich den Kopf hebe, deutet sie mit einem Nicken auf die Tür zum Salon. “Anna”, höre ich Krysia rufen. An ihrem Tonfall erkenne ich, dass sie mich gerade eben nicht zum ersten Mal gerufen hat. Ich stehe auf und kehre in den Salon zurück.
“Ja?” Dank des Wassers und der kurzen Erholungspause fühlt sich mein Kopf schon etwas leichter an.
“Komm mit.” Krysia winkt mich zu dem großen Sofa, auf dem sie und der Kommandant sitzen, und bedeutet mir, zwischen ihnen Platz zu nehmen. “Setz dich.” Voller Unbehagen setze ich mich nieder, nur wenige Zentimeter vom Kommandanten entfernt. Ich vermeide es, ihn anzusehen. “Anna”, wiederholt Krysia mühelos meinen Decknamen. “Der Kommandant möchte dir etwas vorschlagen.” Im Salon macht sich gebannte Stille breit, während sie erwartungsvoll in seine Richtung schaut. Mir stockt unwillkürlich der Atem. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, worüber sie sich unterhalten haben, bin ich mir jetzt schon sicher, es wird mir nicht gefallen.
“Anna, ich bin auf der Suche nach einer Sekretärin, oder besser gesagt: einer Assistentin. Ich brauche jemanden, der einen Teil der täglich anfallenden Verwaltungsarbeit erledigt”, sagt der Kommandant. “Ihre Tante meint, es könnte Sie interessieren.”
Sofort verkrampft sich mein Magen.
“Das ist ein schmeichelhaftes Angebot”, höre ich Krysia sagen. Hinter ihren Worten verbirgt sich eine Botschaft, die ich aber nicht entziffern kann.
“Ich soll das machen?”, frage ich, um etwas Zeit zu schinden, in der ich mir meine Antwort überlegen kann.
“Ja”, bestätigt er. Ich spüre, dass alle im Salon mich ansehen.
“Aber das kann ich nicht!”, wende ich ein und werde lauter. Als ich die überraschten Blicke der anderen Gäste bemerke, senke ich meine Stimme. “Ich meine, ich bin doch Lehrerin. Für einen solchen Posten bin ich ganz sicher nicht geeignet.” Ich bin mir im Unklaren darüber, was unvorstellbarer ist: im Quartier der Nazis zu arbeiten oder jeden Tag in der Nähe dieses beängstigenden Mannes zu sein.
Der Kommandant lässt sich von meiner Antwort nicht abschrecken. “Ihr Deutsch ist ausgezeichnet. Und von Krysia weiß ich, Sie beherrschen Schreibmaschine. Davon abgesehen erfordert diese Stelle nur gutes Urteilsvermögen und freundliche Umgangsformen.”
“Aber das geht nicht. Ich muss mich um Łukasz kümmern, und Krysia benötigt meine Hilfe …”, protestiere ich und sehe zu ihr, damit sie mir Rückhalt gibt.
“Wir schaffen das schon”, widerspricht sie eilig und lächelt mir aufmunternd zu.
“Nun …” Ich zögere eine Antwort hinaus, da ich nach anderen Argumenten suche.
“Das ist ja lächerlich!”, poltert Ludwig plötzlich ungefragt los. “Eine solche Ehre lehnt man nicht ab!”
Der Kommandant wirft dem fetten Mann einen wütenden Blick zu. “Ich werde niemanden zu etwas zwingen.” Dann wendet er sich mit sanfter Stimme wieder an mich: “Es liegt ganz bei Ihnen. Sie können es mich später wissen lassen.”
Ich schlucke bestürzt. Offenbar will Krysia, dass ich dieses unmögliche Angebot annehme, auch wenn ich nicht weiß, wieso. “Nein, das ist nicht nötig.” Ich zwinge mich zu einem Lächeln und erkläre: “Es wäre mir eine Ehre, für Sie zu arbeiten.”
Krysia steht auf. “Dann wäre das ja geklärt. Ich glaube, ich hatte Frau Baran versprochen, noch etwas zu spielen, bevor der Abend vorüber ist.” Sie geht hinüber zum Flügel und nimmt Platz. Ganz diplomatisch spielt sie zuerst Wagner, dann Chopin. Ihr Talent versetzt mich in Erstaunen, wenn ich sehe, mit welcher Fingerfertigkeit und Anmut sie klassische Stücke vollständig aus dem Gedächtnis spielt.
“Ich dachte mir schon, dass so etwas geschehen könnte”, sagt Krysia wenige Stunden später, nachdem die Gäste gegangen sind. Wir stehen in der Küche und trocknen die Teetassen ab. Schürzen schützen unsere Partykleider vor Spritzwasser. Sie redet so leise, dass Elżbieta im Zimmer nebenan nichts davon mitbekommt. “Mir ist zu Ohren gekommen, dass der Kommandant eine Assistentin sucht, und als er den Salon betrat, war mir vom ersten Moment an klar, wie sympathisch du ihm bist.”
Ich
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