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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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war er einfach verloren in all dem Elend, all dem, was geschehen war, und folgte nur den Schritten seiner Begleiter.
    »Fitch«, sagte Saira und sprach leise mit ihm.
    Dane hörte ihnen zu. »Wir haben keine Zeit«, warf er ein.
    Sie erreichten eine größere Straße auf der Höhe eines roten Briefkastens. Billy gab nun, recht verwirrt, acht, als Fitch die Hände auf den Briefkasten legte, ungefähr auf Bauchhöhe, als tastete er nach einem ungeborenen Kind. Er wirkte angestrengt und sah Billy an, als mühe er sich auf dem Klo ab.
    »Schnell«, wies er Billy an. »Das wird nicht ewig halten.«
    »Ich weiß nicht ...«
    »Du willst der Freundin deines Freundes etwas sagen«, meinte Saira leise.
    »Was?«
    »Schau doch, welche Last du trägst. Rede mit ihr.«
    Was soll dieser Scheiß, dachte Billy. Sairas Miene war neutral, aber ihre Freundlichkeit ärgerte ihn. Aber das war nicht ihr Fehler, und das wusste er. Spiele ich also mit bei der Charade, dachte er.
    »Danach wirst du dich besser fühlen«, sagte sie. »Das hier ist nicht Hoxton. Hier kannst du das ruhig tun.«
    London als Therapie, ja? London war auch sonst so ziemlich alles, warum also nicht? Warum trieb Dane sie nicht zur Eile an? Billy ärgerte sich, drehte sich um, aber da stand Dane und wartete einfach. Unter freiem Himmel, ungeschützt, und während er sonst durch die Zeit hetzte, wartete er nun auf Billy, als wäre das eine gute Idee.
    Ich werde schon nicht anfangen zu heulen, dachte Billy, doch dieser Gedanke war keine gute Idee, und er musste sich abwenden. Musste sich zu dem Briefkasten umdrehen. Er ging auf ihn zu.
    Eine arg glanzlose Metapher, diese augenfällige Korrespondenzeinrichtung. Hier stand er nun, um eine Nachricht über die traditionellen Wege der Stadt zu übermitteln. Er kam sich albern und übelnehmerisch vor, dennoch konnte er die Leute, die auf ihn warteten, immer noch nicht ansehen, konnte nach wie vor nur an Leon denken und, eine Art indirekten Schuldempfindens, an Marge. Passanten gingen vorbei, aber niemand achtete auf ihn. Er starrte in die Finsternis der Einwurföffnung des Briefkastens.
    Billy beugte sich vor. Brachte den Mund an die Öffnung heran. London als Therapie. Er flüsterte in den Briefkasten: »Leon ...« Er schluckte. »Marge, es tut mir leid. Leon ist tot. Jemand hat ihn umgebracht. Ich tue, was ich kann, um ... Er ist tot. Es tut mir leid, Marge. Halte du dich bitte raus, ja? Ich tue, was ich kann. Pass auf dich auf.«
    Warum brachten sie ihn dazu, so etwas zu tun? Wem nutzte das? Er legte die Stirn an das Metall und glaubte, weinen zu müssen, aber stattdessen flüsterte er seine Botschaft noch einmal und erinnerte sich an die Szene, an die er sich kaum erinnern konnte, die Konfrontation zwischen Leon und Goss und Leons Verschwinden. Und ihm war nicht mehr nach Weinen. Ihm war eher, als hätte er in diesem Briefschlitz eine Last abgeladen.
    »Geht es Ihnen jetzt besser?«, fragte Dane, als er sich umwandte. »Sie sehen besser aus.«
    Billy sagte nichts. Saira sagte nichts, aber da war etwas in der Art, wie sie ihn nicht ansah.
    »Hier.« Fitch hielt in einer Sackgasse voller Abfall an. Hinter einem hölzernen Bauzaun schwangen Kräne hin und her wie prähistorische Wesen. Sie waren umgeben von dem Hämmern und Stampfen und Heulen von Industriemaschinen, dem Gebrüll der Arbeiter. »Niemand wird uns hören.«
    Er öffnete seine Tasche und entnahm ihr Overalls, Schutzbrillen, Gesichtsmaske, eine Brechstange und eine abgenutzte Flex. Ein wahrlich seltsamer Anblick in Kombination mit einem so gebrechlichen Mann. Dane hatte Billy erzählt: »Marcus hat irgendwas mit dem Immunsystem zu tun, Saira ist Plastikerin, aber Fitch ist, auch wenn er es so ziemlich hinter sich hat, der Boss, weil er der Haruspex ist.« Als er Billys Gesichtsausdruck bemerkt hatte, hatte er hinzugefügt: »Er liest Eingeweide.«
    Fitch war ein alter Mann in Schutzausrüstung. Er aktivierte die Flex. Begleitet von dem Stöhnen von Metall und Beton zog er eine Linie über den Boden. Hinter der Trennscheibe wallte Blut auf.
    »Jesus Christus.« Billy tat einen Satz zurück.
    Fitch zog die Maschine erneut über die Ritze. Ein Regen aus Betonstaub und Blut beschmutzte ihn. Schließlich legte er die triefende Flex weg, schob das Brecheisen in die feuchtrote Öffnung und drückte es kraftvoller herab als er aussah. Der Belag gab nach.
    Gedärme quollen aus dem Loch. Darmschleifen, purpurn und blutig, brodelten feucht glänzend in einer Fleischmasse

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