Der Kreuzfahrer
ging, doch ich vermochte die finsteren Gedanken nicht abzuschütteln, die ich plötzlich hegte. Konnte Reuben derjenige sein, der Robin zu töten versuchte? Das war gewiss unmöglich. Robin hatte Reuben in York gerettet. Aber, so führte die dunkle Seite meines Verstandes an, Robin war indirekt auch für den Tod von Reubens geliebter Tochter Ruth verantwortlich.
Bis zu diesem Augenblick war ich eher davon ausgegangen, dass der Giftanschlag das Werk irgendeines Halunken war, der von Malbête bezahlt wurde. Er hatte eine unmissverständliche Drohung gegen Robin und mich ausgesprochen, in der Nacht, als Messina geplündert worden war und ich Nur gefunden hatte. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie die Bestie irgendeinen Waffenknecht mit Geld und der Aussicht auf einen guten Posten bestach und ihn dazu anstiftete, Robin eine Schüssel mit vergifteten kandierten Früchten unterzujubeln, um sich dann ins Fäustchen zu lachen, wenn sich herumsprach, dass Robin dem Tode nahe war. Doch nun fraß eine kleine schwarze Made an meinem Vertrauen. Konnte es Reuben gewesen sein? Nein, niemals – Reuben war Robin gegenüber absolut loyal. Er würde nie so tief sinken, seinen Freund zu vergiften. Wenn er Streit mit Robin hätte, würde er entweder fortgehen oder ihn, falls es um eine ernsthafte Ehrverletzung ging, zum Kampf fordern. Aber Gift? Niemals.
Allerdings, führte meine argwöhnische Made an, kannte er sich mit Giften und Medizin aus – hatte er nicht eben selbst zugegeben, dass er mit dem Kräuterhändler in Messina über solche Dinge diskutiert hatte? Und dennoch hatte er nicht erkannt, dass es sich bei dem Gift um gewöhnliche Wolfswurz handelte? Das war doch merkwürdig … außer, er hätte
gewusst,
dass es Wolfswurz war, weil er sie Robin selbst gegeben hatte – und jetzt verabreichte er ihm ein weiteres Gift!
Ich stand kurz davor, zurück in Robins Gemach zu stürmen und Reuben mit einer offenen Anschuldigung zu konfrontieren, als die Vernunft wieder ihren Thron bestieg und die Made in ihr fauliges Loch verbannte. Reuben war loyal. Reuben war ein wahrer Freund. Außerdem hätte ich ohnehin nichts tun können. Ich hatte keinerlei Beweis. Wenn ich Reuben beschuldigte, könnte er beleidigt sein und Robin nicht mehr behandeln wollen, und dann würde Robin womöglich sterben. Ich verstand nichts von Medizin – vielleicht war Fingerhut tatsächlich eine Wunderarznei …
Schließlich unternahm ich nichts, außer im Dom für Robins rasche Genesung zu beten. Und ich schwor mir, meinen Herrn regelmäßig zu besuchen und nach ihm zu sehen. Wenn sich sein Zustand verschlechtern sollte, würde ich den Leibarzt des Königs konsultieren. Und falls Robin sterben sollte, würde ich blutige Rache an dem Juden nehmen.
Doch Robin begann sich zu erholen, zunächst nur ganz langsam. Sein Puls wurde kräftiger und regelmäßiger. Er bekam ein wenig Farbe, und drei Tage später konnte er sich im Bett aufrichten und die heißen Tränke selbst nippen, die Reuben für ihn braute. Ich war unendlich froh und erleichtert: Reuben war nicht der Attentäter, und dank seiner Pflege würde Robin genesen. Und ich hatte einen weiteren Anlass, vor Seligkeit fast zu platzen: Nur und ich waren eins geworden.
Eines Abends kehrte ich spät in meine Zelle zurück, nachdem ich mehrere Stunden lang bei Robin gesessen hatte, und traf William sehr besorgt an. Er wartete schon vor der Tür unseres winzigen Zimmers auf mich.
»I-I-Ich glaube, m-m-mit Nur stimmt etwas nicht«, sagte er sofort, als er mich im Gang entdeckte. »Sie w-w-weint sich die Augen aus, aber ich ka-ka-kann nicht verstehen, was sie hat.«
Ich betrat die Zelle und sah Nur auf dem gepolsterten breiten Mauervorsprung sitzen, der mir als Bett diente. Sie hatte sich in meinen warmen grünen Umhang gehüllt. Ihre Augen waren gerötet, und der schwarze Khol, mit dem sie sie stets umrandete, war auf ihren Wangen verschmiert. Sie sah aus wie ein verlorenes kleines Mädchen, und mir schmolz das Herz im Leib. Als sie mich entdeckte, brach sie in heftiges Schluchzen aus und stürzte sich in meine Arme. »Du … liebst … mich … nicht …«, stammelte sie japsend zwischen lauten Schluchzern. Es hörte sich so an, als hätte sie diesen Satz auswendig gelernt, wie ein Papagei. Und ich glaubte zu wissen, wer ihn ihr beigebracht hatte: ein gewisser Jude, der stets die Finger im Spiel hatte und ein wunderbarer, großartiger Lebensretter und Freund war.
Ich hielt Nur zärtlich im
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